IV.
Siehst du, wie groß der Unterschied ist zwischen dieser Weisheit und jener ? Was die Engel nicht wußten, Das hat uns diese gelehrt. Die Weltweisheit hat das Gegentheil gethan: sie lehrte nicht nur nicht, sondern hinderte auch und hemmte die Lehre, suchte das Geschehene herabzu- S. 111 setzen und das Kreuz zu vernichten. Er zeigt also, daß wir nicht bloß dadurch geehrt wurden, daß wir jene Kenntniß erlangt, und zwar mit den Engeln erlangt haben, sondern auch dadurch, daß sie uns vom heiligen Geiste selbst ist mitgetheilt worden. Hierauf zeigt er ihre Größe und spricht: Wir würden sie nicht erreicht haben, wenn nicht der Geist, der das Unerforschlicke in Gott durchschaut, es geoffenbart hätte. Die Sache war Gott so angelegen, daß sie unerforschlich blieb. Gerade darum bedurften wir jenes Lehrers, der sie klar durchschaute. „Denn der Geist durchschauet Alles, selbst das Unerforschliche in Gott.“
11. 12. Denn welcher Mensch kennt das Innere des Menschen als nur der Geist des Menschen, der in ihm ist? Ebenso weiß auch Niemand, was in Gott ist, ausser Gottes Geist. Wir aber haben nicht den Geist der Welt empfangen, sondern den Geist, der aus Gott ist, um zu wissen, was Gott uns verliehen hat.
Jenes „Durchschauen“ deutet hier nicht auf Unwissenheit, sondern auf genaue Kenntniß hin; er bedient sich darum dieses Ausdrucks auch von Gott, indem er spricht: „Er, der die Herzen durchschaut (durchforscht), versteht das Verlangen des Geistes.“1 Nachdem er sich nun über die Erkenntniß des Geistes genau ausgesprochen und gezeigt hat, daß sich dieselbe zur Erkenntniß Gottes so verhalte, wie die Erkenntniß des Menschen zu sich selber, und daß wir durch den Geist, und zwar nothwendig durch ihn Alles gelernet haben, fügt er bei:
13. Und Das lehren wir euch, nicht in Worten, wie menschliche Weisheit, sondern wie der Geist sie uns lehrt, und erläutern Geistiges mit Geistigem.
Siehst du, wie hoch er uns erhebt durch das Ansehen S. 112 des Lehrers? Wir sind um so weiser als Jene, wie groß der Abstand ist zwischen Platon und dem heiligen Geist. Jene haben weltliche Redner zu Lehrern, wir aber als solchen den heiligen Geist. — Was heißt aber Das: „Geistiges mit Geistigem erläutern?“ Wenn etwas geistig und geheimnißvoll2 ist, so nehmen wir die Beweise dafür aus geistigen Dingen; so z. B. wenn ich sage: Christus sei auferstanden, er sei von einer Jungfrau geboren worden, so führe ich Zeugnisse, Vorbilder und Beweise an — des Jonas Aufenthalt im Bauche des Fisches und seine Befreiung, das Gebären von Seite Unfruchtbarer, wie von Sara, Rebekka und Anderen; wie im Paradiese die Bäume gewachsen, ohne gepflanzt, ohne vom Regen befeuchtet oder umgraben zu sein. Denn wie in einem Schattenriß wurde das Zukünftige durch das Frühere vorgebildet und dargestellt, damit es geglaubt würde, wenn es erschiene. Und wieder zeige ich, wie der Mensch aus der Erde, und wie das Weib aus dem Manne allein, ohne Beiwohnung hervorgegangen; wie die Erde selbst aus Nichts entstanden, indem die Macht des Schöpfers überall und zu Allem genügte. So erläutere ich Geistiges mit Geistigem und bedarf keiner Weltweisheit, keiner Schlüsse und keiner künstlichen Beweise. Jene hingegen (die Heiden) verwirren noch mehr den schwachen Verstand und machen ihn wankend; sie können keine deutlichen Beweise beihringen, sondern im Gegentheil machen sie irre, erfüllen mit Dunkelheit und vielerlei Ungewißheit; darum sagt er: „Wir erläutern Geistiges mit Geistigem.“ Siehst du, wie er zeigt, daß jene Weisheit unnütz, ja nicht nur unnütz, sondern auch feindlich und verderblich sei? Denn Das gab er kund durch die Worte: „damit das Kreuz Christi seiner Kraft nicht beraubt werde“ und: „damit unser Glaube nicht auf Menschenweisheit S. 113 beruhe.“ Hier aber zeigt er, daß Diejenigen, welche auf diese Weisheit bauen und Alles auf sie ankommen lassen, unmöglich etwas Nützliches lernen können.
14. Denn der sinnliche (natürliche) Mensch, heißt es, nimmt Das nicht auf, was vom Geiste kommt.
Darum muß man also jene zuerst ablegen.
„Wie? ist also die weltliche Weisheit verwerflich? Sie ist ja doch Gottes Werk.“ Woher weißt du Das? Er hat sie nicht gemacht, sondern du hast sie erfunden; denn unter Weisheit versteht er hier die unnütze Forschung und eitle Beredsamkeit. Wollte man aber auch annehmen, daß er die menschliche Klugheit darunter verstehe, so gereichte dir auch Dieses zum Tadel. Denn du schändest sie durch Mißbrauch, indem du Gott zuwider und zum Trotze von ihr verlangst, was sie nicht geben kann. Darum nun, weil du dich derselben rühmst und dadurch Gott beleidigst, zeigt er ihre Nichtigkeit. Auch die Körperstärke ist etwas Gutes; weil aber Kain dieselbe mißbrauchte, so lähmte ihn Gott, daß er zitterte. Auch der Wein ist etwas Gutes; weil aber die Juden denselben übermäßig genoßen, so verbot Gott den Priestern durchaus dessen Genuß. Weil nun auch du die Weisheit mißbraucht und von ihr mehr gefordert hast, als sie aus eigener Kraft zu leisten vermag: so zeigt er ihre Ohnmacht, um dich von der bloß menschlichen Hoffnung abzulenken. Sinnlich ist nämlich Derjenige, der Alles auf kalte Vernunftschlüsse3 baut und keiner Hilfe von oben zu bedürfen wähnt, was eine Thorheit ist. Denn Gott hat sie gegeben, daß sie von ihm lernen und das Seinige aufnehmen, nicht aber, daß sie wähnen soll, sich selbst zu genügen. Auch die Augen sind schön und nütz- S. 114 lich; wenn sie aber ohne Licht sehen wollen, so kann ihnen weder die Schönheit noch die eigene Kraft Etwas nützen, sondern schadet vielmehr. Ebenso verhält es sich mit der Seele (Vernunft): wenn sie ohne den heiligen Geist sehen will, so steht sie sogar sich selber im Wege.
„Wie aber“, wirst du sagen, „hat denn die Weltweisheit früher Alles aus sich selber eingesehen?“ nicht aus sich selber hat sie es eingesehen, sondern diese Weltweisen hatten die Schöpfung wie ein Buch vor sich liegen. Als sie aber den Weg, den ihnen Gott vorgezeichnet hatte, um aus der Schönheit der sichtbaren Dinge den Schöpfer zu erkennen, verließen und die Vernunftschlüsse obenan setzten: versanken sie, ohnmächtig, in ein Meer von Gottlosigkeit und fielen sofort in den Abgrund aller Übel, indem sie behaupteten, aus Nichts könne Nichts werden, sondern Alles sei aus einem unerschaffenen Urstoff entstanden; woraus unzählige Sekten hervorgingen. Und zwar stimmten sie in Dem, was höchst ungereimt war, überein; hingegen wo sie auch nur dunkel und gleichsam träumend etwas Vernünftiges sahen, waren sie unter einander entzweit, so daß sie beiderseits lächerlich wurden. Denn daß aus Nichts auch Nichts werden könne, sagten und schrieben fast Alle einstimmig und mit großem Eifer. In Dem also, was ungereimt war, trieb sie der Teufel zusammen; in nützlichen Dingen aber, wenn sie auch nur räthselbaft Etwas gefunden zu haben wähnten, bekämpften sie sich einander, wie z. B. daß die Seele unsterblich sei, daß die Tugend keines äussern Dinges bedürfe, daß es nicht von zwingender Nothwendigkeit und nicht vom Schicksal abhänge, ob man tugendhaft oder lasterhaft werde.
