V.
Siehst du die Bosheit des Teufels? Wo immer er merkte, daß sie etwas Scklechtes behaupteten, da bewirkte er, daß sie alle übereinstimmten; wo er aber sah, daß sie etwas Gesundes lehrten, da hetzte er sie gegen einander, damit das Unvernünftige, durch Übereinstimmung bekräftigt, S. 115 bestehen, das Nützliche aber durch die Verschiedenheit der Meinungen zerfallen sollte. Siehe da, wie die Seele überall schwach ist und sich allein nicht genügt! Das ist aber mit Recht so geschehen; denn woferne sie in dem Zustande, in dem sie geschaffen ist, dennoch darauf besteht, daß sie keines Andern bedürfe, und sich so von Gott abzieht: in welchen Wahnsinn würde sie nicht verfallen sein, wenn sie nicht so geschaffen wäre! Wenn sie, mit einem sterblichen Leibe versehen, von der lügenhaften Verheissung des Teufels viel Größeres erwartete („denn ihr werdet wie die Götter sein,“1 sprach er): wie tief würde sie nicht gesunken sein, hätte sie gleich Anfangs einen unsterblichen Leib erhalten! Denn selbst nach Diesem behauptete sie durch den stinkenden Mund der Manichäer, sie sei unerschaffen und aus dem Wesen der Gottheit; und aus diesem Irrwahne bildete sie auch bei den Heiden die Götter. Deßwegen, scheint mir, habe Gott die Tugend mühsam gemacht, um die Seele zu lenken und zur Bescheidenheit zu führen. Und damit du einsehest, daß Dieses wahr sei, so wollen wir, — um Grösseres aus Kleinerem zu beurtheilen — Dieses von den Israeliten lernen. Als diese ein bequemes und ruhiges Leben führten, konnten sie Ihr Glück nicht ertragen und verfielen in Gottlosigkeit. Was that nun Gott? Er legte ihnen eine Menge Gesetze auf, um ihre Ausgelassenheit zu zügeln. Und damit du lernest, daß diese Satzungen nicht etwa Tugend bezweckten, sondern ihnen nur als Zaum gegeben waren, und um sie in Thätigkeit zu erhalten, so höre, was der Propbet darüber sagt: „Ich gab ihnen Gebote, die nicht gut waren.“ Was heißt das: die nicht gut waren? Solche, welche zur Tugend nicht viel beitrugen. Darum sagt er ferner: „Rechte, durch die sie nicht leben konnten.“2 „Freilich nimmt der natürliche (sinnliche) Mensch Das nicht auf, was vom Geiste kommt.“ Ganz richtig; denn wie mit diesen Augen Niemand schauen kann, was im Himmel ist, S. 116 ebenso wenig kann auch die Seele für sich allein begreifen, was des Geistes ist. Doch was rede ich von Dem, was im Himmel ist? Wir sehen nicht einmal Alles, was auf Erden ist. Denn sehen wir in der Ferne einen viereckigen Thurm, so halten wir ihn für rund. Diese Meinung ist aber eine optische Täuschung. Ebenso würde man sich höchst lächerlich machen, wollte man Dinge, die weit von uns abliegen, mit dem bloßen Verstande prüfen. Denn man würde die Dinge nicht nur nicht sehen, wie sie sind, sondern sie sogar für das Gegentheil von Dem, was sie sind, halten. Darum fügt er bei: „Denn ihm ist es Thorheit;“ nicht wegen der Natur der Sache, sondern wegen der Schwachheit Desjenigen, der ihre Größe durch den Blick der Seele nicht erreichen kann. Darauf gibt er auch die Ursache davon an mit den Worten: „Und er faßt es nicht, weil es nur geistig gefaßt werden kann;“ d. h. es wird Glauben dazu erfordert, und durch Vernunftgründe läßt es sich nicht begreifen; denn die Große desselben geht weit über die Grenzen unseres schwachen Verstandes. Darum sagt er:
15. Der Geistige aber beurtheilt Alles, er selbst aber wird von Niemandem beurtheilt.
Wer das Augenlicht hat, der sieht selber Alles, selbst Das, was einem Blinden gehört; kein Blinder aber sieht Das, was des Andern ist. So kennen wir jetzt genau sowohl unsere Lage als die der Heiden, diese aber kennen die unsrige nicht; denn wir kennen die Natur der gegenwärtigen und den Werth der zukünftigen Dinge, wir wissen, was dann aus dieser Welt werden wird, welche Strafe die Sünder erleiden und welche Belohnung die Gerechten empfangen werden; wir wissen und sind überzeugt, daß die gegenwärtigen Dinge nichtig und hinfällig, die zukünftigen aber ewig und unwandelbar seien. Dieß alles weiß der Geistige; er weiß auch, welche Strafe nach seinem Tode auf den Sinnlichen, welche Belohnung nach seinem Hinscheiden auf den Gläubigen warte. Davon aber weiß der S. 117 Sinnliche Nichts. Darum spricht der Apostel, indem er das Gesagte klar beweist:
16. Denn wer kennt den Sinn des Herrn, daß er ihn belehren könnte? Wir aber haben Christi Sinn.
Das heißt: Wir wissen, was Christus im Sinne hat, und was er will. Das hat er auch geoffenbart. Da, er gesagt hatte, daß es uns der Geist geoffenbart habe, so fügt er, damit Niemand den Sohn ausschließe, hinzu, daß auch Christus Dieses gezeigt habe, womit er aber nicht sagen will, daß wir Alles wissen, was Christus weiß, sondern daß Alles, wäs wir wissen, nicht menschlich und somit zweifelhaft, sondern nach Christi Sinn und geistig sei.
