II.
Wir aber werden darüber nicht nur nicht verdrießlich, sondern freuen uns dessen: der Beweis davon ist, daß wir Denen, die uns Böses thun, Gutes erwidern. Daß sie das wirklich gethan, vernimm aus dem Folgenden: „Wir werden gescholten, und segnen; werden verfolgt, und dulden.“
13. Wir werden gelästert, und flehen; gleich Auskehricht der Welt sind wir geworden:
Das heißt, Thoren sein um Christi willen. Denn wer Unrecht leidet und keine Rache nimmt und sich darüber nicht kränkt, der gilt vor der Welt als Thor, als Ehrloser, als Schwächling. Damit seine Rede nicht allzu lästig würde, wenn er die Leiden nur auf ihre Stadt beschränkte, so sagt er: „Auskehricht sind wir geworden,“ nicht eurer Stadt, sondern der „Welt“, und wieder ein „Auswurf Aller“, nicht nur von euch, sondern von „Allen“. Gleichwie er nun, von der Fürsorge Christi sprechend, nicht die Erde, den Himmel und die ganze Schöpfung anführt, sondern das Kreuz: so redet er auch da, wo er sie an sich ziehen will, nicht von den Wundern, sondern von den Leiden, die er ihretwegen ausgestanden. So pflegen auch wir Diejenigen, die uns Sckmach und Unbilden zufügen, an Das zu erinnern, was wir für sie gelitten haben. „Ein Auswurf Aller bis nun.“ Tief ist die Wunde, die er ihnen am Ende schlägt: „Aller,“ nicht der Verfolger, sondern Derjenigen, für welche wir Dieses leiden, d. h.: Ich weiß ihnen, großen Dank dafür. Das sind Worte eines Mannes, der wohl schmerzlich berührt, aber nicht aufgebracht ist, sondern sie zurechtweisen will. Er konnte ihnen tausend Vorwürfe machen, und er grüßt sie. Darum befiehlt auch Christus, S. 214 die Beschimpfungen mit Sanftmuth zu tragen, damit wir sowohl selber weise werden1 als auch die Gegner desto mehr noch beschämen; denn eher bewirkt man Dieses durch Stillschweigen als durch Erwiderung des Schimpfes. Da er nun sah, wie schmerzlich diese Wunde sei, so fügt er, um sie zu heilen, gleich hinzu:
14. Nicht um euch zu beschämen, schreibe ich Dieses, sondern wie meine geliebten Kinder mahne ich euch.
Denn „nicht um euch zu beschämen“, sagt er, sage ich das. Was die Worte wirklich besagten, das, spricht er, war nicht seine Absicht, oder vielmehr, er habe sie wohl geschrieben, aber nicht aus böser Meinung oder Abneigung. Denn das ist die beste Art der Zurechtweisung, wenn man die (harte) Rede durch die gute Absicht entschuldigt. Schweigen durfte er nicht, weil sie sonst ungebessert geblieben wären; aber nachdem er gesprochen, war er auch wieder hart, die verursachte Wunde ohne Heilmittel zu lassen. Darum entschuldigt er sich ganz ernstlich; das beseitigt zwar die Wunde nicht, sondern vertieft sie wohl gar, lindert aber ihren ganzen Schmerz: Denn sobald sie vernahmen, daß er Dieses aus Liebe gethan und nicht, um ihnen Vorwürfe zu machen, ließen sie sich die Zurechtweisung gerne gefallen. Aber auch hierin liegt viel Nachdruck, viel Beschämendes. Denn er sagt nicht: Als Lehrer, als Apostel, und wie es mein Ansehen über euch als Schüler erfordert, sondern: „als geliebte Kinder ermahne ich euch;“ nicht bloß als Kinder, sagt er, sondern als „geliebte Kinder“. Verzeiht mir, will er sagen, wenn ich etwas Lästiges gesprochen; es geschieht ja aus Liebe. Auch sagt er nicht: Ich mache euch Vorwürfe, sondern: „ich ermahne euch.“ Wer hört S. 215 nicht gerne auf den wohlmeinenden Rath eines bekümmerten Vaters? Darum sagte er Dieses auch nicht früher, sondern erst, nachdem er sie verwundet hatte. Wie? wird man fragen, gehen denn die andern Lehrer mit uns nicht schonend um? Das sage ich nicht; aber so liebevoll nicht. Auch Dieses drückt er nicht kurz aus, sondern gibt es zu erkennen, indem er das Amt und den Namen des Lehrers und Vaters gebraucht:
13. Möget ihr auch viele Erzieher haben in Christo, aber Väter habt ihr nicht viele.
Hier hebt er nicht das Ansehen, sondern das Übermaß der Liebe hervor; auch will er sie nicht beleidigen durch den Beisatz: „in Christo,“ sondern er tröstet sie, indem er Diejenigen, die sich ihrer annahmen und sich den Beschwerden unterzogen, nicht Schmeichler, sondern Erzieher nennt und so seine Sorgfalt an den Tag legt. Darum sagt er nicht, daß sie nicht viele Lehrer haben, sondern „nicht viele Väter“. So will er nicht sein Ansehen geltend machen und nicht zeigen, daß sie ihm Vieles zu verdanken hätten; vielmehr läßt er Alles bei Seite, was er für sie in der Eigenschaft eines Lehrers gethan, und behält sich als Vater nur die Liebe vor. Er sagt nicht nur: Niemand liebt euch so sehr, — was er ohne Beleidigung sagen konnte, sondern führt auch den Beweis dafür an. Was ist das für einer? „Denn ich bin in Christo Jesu durch das Evangelium euer Vater geworden.“ In Christo Jesu: ich schreibe mir das nicht selbst zu, sagt er. Damit greift er wieder Diejenigen an, welche mit ihrer Gelehrsamkeit prahlten. „Denn ihr seid das Siegel meines Apostolates,“ spricht er. Und wieder: „Ich habe gepflanzt“ und hier: „Ich bin euer Vater geworden.“ Er sagt nicht: ich verkündete euch das Evangelium, sondern: „Ich habe euch gezeugt“ (bin euer Vater geworden) und bediente sich so der naturgemäßen Bezeichnung. Denn sein einziges Bestreben ging dahin, seine Liebe zu ihnen zu zeigen. Jene S. 216 Lehrer nämlich haben das von mir erhalten, in was sie euch einführten; daß ihr aber gläubig seid, ist durch mich geschehen. Weil er sie Söhne genannt hat, so stellt er nun auch, damit es nicht als Schmeichelei erscheine, die Sache verwirklicht dar:
16. Daher ermahne ich euch: werdet meine Nachahmer, wie ich es auch von Christus bin.
Ei, welche Zuversicht des Lehrers, und wie getroffen ist das Bild, da er auch die Andern auffordert, dasselbe nachzuahmen! Das thut er nicht, um sich zu rühmen, sondern um zu zeigen, daß die Tugend leicht sei.
Φιλοσοφῶμεν — d. h. durch weise Mäßigung uns und den Gegnern nützen. ↩
