I. KAPITEL. Das göttliche Wesen ist unbegreiflich. Man darf sich nicht um das bemühen und bekümmern, was uns von den heiligen Propheten, Aposteln und Evangelisten nicht überliefert ist.
S. 1 „Gott hat niemand jemals gesehen. Der eingeborene Sohn, der im Schoße des Vaters ist, er hat [ihn] kundgemacht“ 1. Unaussprechlich also ist das göttliche Wesen und unbegreiflich. Denn „niemand kennt den Vater außer der Sohn und niemand den Sohn außer der Vater“ 2. Aber auch der Hl. Geist weiß, was Gottes ist, so, wie der Geist des Menschen weiß, was in ihm ist 3. Nach der ersten, seligen (═ göttlichen) Natur aber hat niemand Gott je erkannt, außer der, dem er sich persönlich geoffenbart, nicht bloß kein Mensch, sondern auch keine überweltliche Macht, ja, ich behaupte, selbst kein Cherubim und Seraphim 4.
Gleichwohl hat uns Gott nicht in völliger Unkenntnis gelassen. Denn die Erkenntnis des Daseins Gottes ist von ihm allen von Natur aus eingepflanzt. Aber auch die Schöpfung selbst, deren Erhaltung und Regierung verkündet die Majestät der göttlichen Natur 5. Ferner hat er sich, zuerst durch Gesetz und Propheten, dann aber auch durch seinen eingeborenen Sohn, unseren Herrn, Gott und Heiland Jesus Christus entsprechend unserem Fassungsvermögen erkennbar gemacht. Daher S. 2 nehmen wir alles an, was uns durch Gesetz und Propheten, Apostel und Evangelisten überliefert ist, studieren und verehren es und suchen nichts darüber hinaus. Gott ist gut, darum ist er der Geber alles Guten; er unterliegt nicht Neid oder einer Leidenschaft. Ja, fern von der göttlichen Natur, die leidenschaftslos und nur gut ist, ist Neid. Da er alles weiß und eines jeden Interesse im Auge hat, so hat er gerade das geoffenbart, dessen Kenntnis in unserem Interesse lag. Was wir jedoch nicht ertragen konnten, hat er verschwiegen. Damit wollen wir uns zufrieden geben; dabei wollen wir bleiben; wir wollen nicht die ewigen Grenzen verrücken 6 und über die göttliche Überlieferung hinausgehen.
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Joh. 1, 18. ↩
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Matth. 11, 27. ↩
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Vgl. 1 Kor. 2, 11. ↩
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Vgl. Greg. Naz., Or. 28, 3 (Migne, P. gr. 36, 29 A). Hier liegt wohl eine Spitze gegen Eunomius, Bischof von Cyzikus in Mysien († um 395), der eine adäquate Erkenntnis des Wesens Gottes behauptete. ↩
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Vgl. a. a. 0. (Migne, P. gr. 36, 29 AB). ↩
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Vgl. Sprüche 22, 28. ↩