2.
so lasst uns nun, wenn es euch beliebt, in gegenseitigem Einvernehmen diese Schriftsteller verurteilen und die Verteidigung von Gesetz und Propheten übernehmen! Als Gesetz bezeichne ich aber jetzt nicht die Vorschriften zu Beschneidung, Sabbatruhe, Opferriten und was es sonst derartiges bei den Juden gibt, sondern das, was wahrhaft Gesetz ist, d.h. (cf. Exod. 20,13 ff.; deut. 5,17 ff.): Du sollst nicht töten, du sollst nicht die Ehe brechen, du sollst keinen falschen Eid schwören, u.s.w. Da nun aber die hebräischen Schriftsteller auf dieses Gesetz, das sich seit Urzeiten, d.h. seitdem die Schöpfung dieser Welt besteht, unter den Völkern verbreitet hatte, losstürzten und ihm ihre eigenen, verabscheuungswürdigen und widerlichen Vorschriften, die sich etwa auf die Beschneidung und auf die Opferriten beziehen, wie Räude und Aussatz beimischten, wohlan denn, wenn auch du, wie ich mir sicher bin, Anhänger des Gesetzes bist, verurteile mit mir zusammen jene Menschen, die sich erfrechten, dieses Gesetz durch diese Beimischung von Vorschriften, die nicht mit ihm vereinbar sind, zu besudeln! Denn wenn nicht auch ihr wüsstet, dass diese Vorschriften nicht Gesetz und auch nicht Teil eines Gesetzes sind, dann wäret ihr sicher bemüht, sie einzuhalten und damit eure Gerechtigkeit zu bekennen, oder aber ihr würdet offen zugeben, dass ihr nicht gerecht seid. Jetzt aber ist es doch so, dass ihr, wenn ihr ein untadeliges Leben führen wollt, euch sorgsam an jene Gebote hält, welche Missetaten verbieten, anderseits euch keinen Deut um jene Vorschriften kümmert, die den Juden auferlegt sind; wie könnt ihr dafür eine Entschuldigung finden, es sei denn, es stehe fest, dass diese nicht Gesetz sind? Wenn du schliesslich in genau gleicher Weise vor Zorn erbeben würdest, wenn dich jemand als Unbeschnittenen oder als Sabbatverächter bezeichnen würde, wie du in Wut gerätst und es als unerträgliche Zurechtweisung empfindest, wenn jemand dir vorwirfst, dass du das Gebot: Du sollst nicht töten! oder: Du sollst nicht die Ehe brechen! missachtest, dann wäre daraus zweifelsfrei zu erkennen, dass das eine wie das andere Gesetz und Gebot Gottes sind. Jetzt aber ist es so, dass du mit der Einhaltung der zuletzt genannten Gebote Lob und Ehre suchst, dagegen bei Nichtbeachtung jener Vorschriften keinesfalls befürchtest, deine Ehrenstellung einzubüssen. Daher steht fest, dass diese Vorschriften, wie ich bereits gesagt habe (cf. 592,1) nicht Gesetz sind, sondern vielmehr Verunstaltungen und Auswüchse des Gesetzes. Wenn sie von uns verurteilt werden, werden sie als Fälschungen, nicht als Gesetzesbestandteile verurteilt. Und diese Zurechtweisung trifft nicht das Gesetz und auch nicht Gott, den Urheber des Gesetzes, sondern jene, die Gott und das Gesetz als Decknamen für ihre gottlosen Kulthandlungen verwendeten. Dass wir selber zuweilen die verehrungswürdige Bezeichnung Gesetz bemühen, wenn wir uns mit den Jüdischen Vorschriften beschäftigen, geschieht durch euren Fehler, da ihr zwischen den Anweisungen der Hebräer und dem Gesetz nicht differenzieren wollt. Kurzum, gebt dem Gesetz die ihm eigene Würde, schneidet die schändlichen Zusätze der Israeliten wie krankhafte Auswüchse aus ihm heraus, macht die Schriftsteller für seine Entstellung verantwortlich, und ihr werdet sofort sehen, dass unsere Abneigung nicht dem Gesetz, sondern dem jüdischen Gesetzesverständnis galt! Die Bezeichnung Gesetz ist es, die euch in die Irre führt, da ihr nicht wisst, worauf sie richtigerweise anwendbar ist.