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Eines der Kinder Leas verdankt nun aber seine Geburt dem Entgegenkommen Rachels, da diese es zuliess, dass ihr Ehemann, der eben mit ihr selber die geschuldete Nacht verbringen wollte, diese Nacht mit ihrer Schwester verbrachte, als Entgelt dafür, dass sie vom Sohn Leas Alraun-Äpfel bekommen hatte (cf. Gen. 30,14 ff.). Meines Wissens nehmen einige Interpreten an, dass dieser Apfel, wenn er unfruchtbaren Frauen verabreicht wird, Fruchtbarkeit bewirkt; und sie meinen daher, dass Rahel deshalb so eindringlich darauf bestanden habe, diese Frucht vom Sohn der Schwester zu bekommen, weil sie sich sehnlichst Nachwuchs wünschte. Dem würde ich niemals beipflichten, selbst wenn Rachel unmittelbar danach schwanger geworden wäre. Da sie der Herr aber erst dann mit Nachkommenschaft segnete, als Lea nach besagter Nacht zwei weitere Kinder geboren hatte (ib. 30,17. 19), sehe ich keinen Anlass, dem Alraun-Apfel eine solche Wirkung zuzuschreiben, die man noch bei keiner Frau beobachten konnte. So möchte ich sagen, was ich selber darüber denke; Sachkundigere werden dafür vielleicht bessere Erklärungen haben: Als ich nämlich diesen Apfel einmal selber zu Gesicht bekam, was mich wegen eben jener Stelle aus der Heiligen Schrift (cf. Gen. 30,14) sehr freute – er ist nämlich eine grosse Rarität -, da untersuchte ich, so gut ich dazu fähig war, seine Eigenschaften, nicht mit wissenschaftlicher, dem Laienverstand kaum zugänglicher Methodik, die etwa Auskunft über die Kräfte der Wurzeln oder die Wirkungen der Blätter gibt, sondern indem ich beobachtete, wie das Aussehen, der Geruch und der Geschmack der Pflanze auf mich und jeden anderen Menschen wirkte. Und da lernte ich eine schöne und wohlduftende Frucht kennen, die aber einen unangenehmen Geschmack besass; und deshalb muss ich gestehen, dass ich nicht weiss, warum die Ehefrau sosehr nach ihr begehrte, es sei denn vielleicht wegen der Seltenheit der Frucht oder wegen ihres Wohlgeruchs. Warum aber die Heilige Schrift diesen Vorfall nicht einfach stillschweigend übergehen wollte, - sie würde sich gewiss nicht bemühen, uns solcherlei Gelüste von Weibspersonen als wichtige Ereignisse ans Herz zu legen, wenn sie uns damit nicht auffordern möchte, etwas Bedeutsames darin zu suchen –, dazu finde ich keine plausiblere Erklärung, als was mir wiederum (651,15) der gesunde Menschenverstand eingibt, dass nämlich jener Alraun-Apfel modellhaft für den guten Ruf steht, womit ich nicht den Ruf meine, den ein Mensch besitzt, wenn er von der kleinen Zahl der Gerechten und Weisen anerkannt wird, sondern jene Popularität in der Volksmasse, womit man eine Bekanntheit erreicht, die weit grösser und strahlender ist; diese ist allerdings nicht um ihrer selbst willen erstrebenswert, aber eine unentbehrliche Hilfe für die Guten, wenn sie sich für das Heil des Menschengeschlechtes einsetzen wollen. Daher sagt der Apostel (I Tim. 3,7): Er muss auch von den Aussenstehenden ein gutes Zeugnis bekommen; mögen diese auch wenig Einsicht besitzen, zur Hauptsache sind doch sie es, die der Mühsal jener, welche sich für ihr Heil einsetzen, den Glanz der Anerkennung und den Wohlgeruch des guten Rufs verleihen. Zu diesem Ansehen bei der Masse gelangen nicht einmal die Führenden in der Kirche, wenn sie sich nicht den Gefahren und der Mühsal des Tätigseins aussetzen. Deshalb fand der Sohn der Lea jene Alraun-Äpfel, als er aufs Feld hinaus ging (cf. Gen. 30,14), d.h. als er in guter Absicht zu jenen ging, die draussen sind. Jene Lehre der Weisheit dagegen, die sich weitab vom Getöse der Massen in unbeschwertem Genuss der Betrachtung der Wahrheit widmet, sie könnte dieses Ansehen beim Volk in keiner Weise erringen, es sei denn mithilfe jener Menschen, die sich mitten ins Getümmel begeben und das Volk mit Rat und Tat leiten, aber nicht im Sinn des Vorstehens, sondern des Beistehens. Denn so wie diese Menschen, die mit ihrer rastlosen Tätigkeit und Geschäftigkeit für das Wohl der Masse besorgt sind, und deren Autorität beim Volk hochgeschätzt ist, zugleich Zeugnis ablegen für eine Lebensform, die sich der Musse widmet, mit dem Ziel, die Wahrheit aufzuspüren und sie zu betrachten, in vergleichbarer Weise gelangen die Alraun-Äpfel mithilfe Leas zu Rachel, zu Lea selber aber mithilfe ihres erstgeborenen Sohnes, des Ehrenpreises ihrer Fruchtbarkeit, die der herrliche Lohn ist für ihr mühseliges und von Ungewissheiten und Versuchungen gefährdetes Tätigsein, ein Tätigsein, welches die grosse Mehrzahl unter den hochbegabten und von brennender Wissbegier erfüllten Menschen, selbst wenn sie zur Führung des Volkes geeignet sein könnten, wegen der nervenaufreibenden Aufgaben meidet und sich lieber mit ganzem Herzen in die Musse der Gelehrsamkeit, gewissermassen in die Arme der schönen Rachel, wirft.