6.
Zum zweiten Punkt: wenn ihr auf gleiche Weise zur Jungfräulichkeit ermutigen würdet, wie die Lehre des Apostels dazu ermuntert (I Kor. 7,38): Wer sie zur Ehe gibt, handelt gut, wer sie nicht zur Ehe gibt, handelt besser, indem ihr also den Ehestand als etwas Gutes, die Jungfräulichkeit als das Bessere bezeichnen würdet, so wie die Kirche es tut, die wahrhaft die Kirche Christi ist, dann würde euch der Heilige Geist nicht mit den Worten (I Tim. 4,3): sie werden die Heirat verbieten, ankündigen. Die Ehe verbietet nämlich der, welcher sie als Übel bezeichnet, nicht der, welcher ihr als einem Gut ein noch grösseres Gut voranstellt. Ein Letztes: ausgerechnet jenen Geschlechtsakt verabscheut ihr >besonders klar, der allein sittlich wertvoll und ehegemäss ist, und der auch durch die Ehegesetztafeln (cf. Civ.XIV 18) deutlich in den Vordergrund gerückt wird, nämlich den Geschlechtsakt zur Zeugung von Nachkommen; in Tat und Wahrheit wollt ihr also nicht so sehr den Geschlechtsverkehr, vielmehr die Ehe verbieten, denn Geschlechtsverkehr wird auch zur Befriedigung der Lust vollzogen, geheiratet aber wird nur der Nachkommenschaft wegen.
Sagt nun aber nicht, die Tatsache, dass ihr vielen eurer Hörer, welche in diesem Punkt nicht gehorchen wollen oder es nicht können, ohne Beeinträchtigung der Freundschaft freie Hand lässt, zeige, dass ihr die Ehe nicht verbietet! Denn das eine ist Bestandteil eurer Irrlehre, das andere in den Zwängen des Zusammenlebens begründet. Hier lässt sich nun die Frage beantworten – was ich kurz vorher aufgeschoben hatte (p. 746,12) –, warum ihr euch entschlossen habt, den Tod Christi wenigstens als vorgetäuscht und vorgespiegelt zu verkünden, seine Geburt dagegen nicht: Den Tod verherrlicht und preist ihr ja als Trennung der Seele, d.h. der Natur eures Gottes, vom Leib seiner Feinde, d.h. vom >Schöpfungswerk des Teufels, und so schien es euch angemessen, dass Christus diesem Vorgang, wenn auch nicht durch einen echten, so doch durch einen vorgetäuschten Tod Würde verleihe. Dagegen glaubt ihr ja, dass euer Gott bei der Geburt nicht befreit sondern gefesselt wird, und so widerstrebte es euch, zu glauben, dass Christus sie auch nur als Täuschung vorgespiegelt habe, sodass Maria bei euch weniger Anstoss erregen würde, wenn sie Geschlechtsverkehr gehabt, aber nicht empfangen hätte, als wie sie jetzt Anstoss erregt, weil sie keinen Geschlechtsverkehr hatte, aber dennoch gebar.
Ihr seht also, dass ein grosser Unterschied besteht zwischen jemandem, der zur Jungfräulichkeit ermutigt, indem er dem höheren Gut den Vorrang vor dem geringeren Gut gibt, und jemandem, der die Ehe verhindern will, indem er den Geschlechtsverkehr, welcher der Fortpflanzung dient – was die einzige der Ehe wirklich angemessene Form ist –, in allzu heftiger Form angreift; und dass auch ein grosser Unterschied besteht zwischen jemandem, der sich der Speisen enthält wegen des Symbolgehalts dieser rituellen Handlung, oder um seinen Körper zu züchtigen, und jemandem, der sich der Speisen, die Gott geschaffen hat, enthält, indem er behauptet, Gott habe sie nicht geschaffen.
Und so ist das erste Lehre der Propheten und Apostel, das zweite Lehre der Lügen redenden Dämonen.