1. Kapitel. Verhältnis von Glaube und Wissen; Gründe für die irrigen Anschauungen über Gott.
S. 1 1. Wer diese meine Abhandlung über die Dreieinigkeit lesen will, soll zuerst wissen, daß meine Feder wachsam sich gegen die Verdrehungskünste jener wendet, welche es verschmähen, vom Glauben auszugehen, und so durch ihr vorwitziges und verkehrtes Verlangen nach Verstehen in Irrtum fallen. Einige von ihnen versuchen das, was sie von den stofflichen Dingen, sei es durch die Erfahrung der Leibessinne wissen, sei es durch die natürliche Kraft der menschlichen Begabung und durch lebendigen Fleiß oder durch die Hilfe der Kunst sich angeeignet haben, auf die unstofflichen und geistigen Dinge zu übertragen, so daß sie nach den ersteren die letzteren messen und deuten wollen. Es gibt auch andere, welche sich ihre Meinung über Gott gemäß der Natur der menschlichen Seele und ihren Neigungen bilden, wenn sie sich überhaupt eine Meinung bilden. Aus diesem Irrtum heraus verleiben sie ihrer Rede, wenn sie von Gott sprechen, abwegige und falsche Regeln ein. Wiederum S. 2 gibt es eine andere Art von Menschen, solche, die zwar über die ganze Schöpfung, die in der Tat wandelbar ist, hinauszugehen suchen, um den Blick zu der unwandelbaren Substanz, die Gott ist, zu erheben; aber durch der Sterblichkeit Last niedergedrückt — da sie sowohl, was sie nicht wissen, zu wissen scheinen wollen, wie auch, was sie wollen, nicht wissen können —, behaupten sie allzu kühn ihre vorgefaßten Meinungen und verschließen sich so die Zugänge zur Einsicht, mehr darauf bedacht, ihre verkehrte Ansicht nicht zu verbessern, als die von ihnen verteidigte Lehre aufzugeben. Das ist ja doch die Krankheit aller drei Menschenarten, die ich vorgeführt habe: derjenigen, welche von Gott wie von einem Körper denken; derjenigen, welche von ihm wie von einem geistigen Geschöpfe denken, wie es die Seele ist; derjenigen endlich, welche von Gott weder wie von einem Körper noch wie von einem geistigen Geschöpfe denken und doch Falsches von ihm glauben, von der Wahrheit um so weiter entfernt, als das, was sie meinen, weder im körperlichen noch im gewordenen und geschaffenen geistigen Sein noch im Schöpfer selbst sich findet. Wenn jemand zum Beispiel Gott für weiß oder rot hält, täuscht er sich, aber diese Bestimmungen finden sich immerhin im körperlichen Sein. Wenn ferner jemand von Gott glaubt, jetzt vergesse er, jetzt erinnere er sich, oder etwas dergleichen, so ist er gleicherweise im Irrtum befangen. Aber diese Vorgänge begeben sich doch wenigstens in der Seele. Wenn jedoch jemand glaubt, die Macht Gottes sei derart, daß er sich selbst gezeugt habe, so irrt er um so mehr, als nicht nur Gott nicht derart ist, sondern auch das geistige oder körperliche Geschöpf nicht. Es gibt ja überhaupt keinerlei Wirklichkeit, die sich selbst erzeugen würde, so daß sie hierdurch Dasein besäße.
2. Damit also der menschliche Geist von derartigen Irrtümern gereinigt werde, hat die Heilige Schrift, den S. 3 Kleinen sich anpassend, die Ausdrücke für keine Art von Dingen verschmäht, damit von ihnen aus unsere Vernunft, wie von Nahrung gestärkt, gleichsam in Stufen zur göttlichen und erhabenen Wirklichkeit aufsteige. Einmal gebraucht sie nämlich, wenn sie von Gott spricht, Worte, welche aus dem Bereich der stofflichen Dinge stammen, so wenn sie sagt: „Im Schatten deiner Fittiche beschütze mich“1 Ebenso hat sie von der geistigen Schöpfung viele Worte übernommen, um damit Sachverhalte zu bezeichnen, die nicht wirklich so sind, die aber so ausgedrückt werden müssen, so an der Stelle: „Ich bin ein eifernder Gott“2, und an der anderen: „Es reut mich, den Menschen geschaffen zu haben.“3 Von den Dingen jedoch, die gar kein Sein haben, hat sie keinerlei Worte genommen, um mit ihnen bildliche Redeweisen oder rätselhafte und verwickelte Ausdrücke zu formen. Daher führen ein gefährlicheres und nichtigeres Schattendasein diejenigen, welche sich durch die dritte Art von Irrweg von der Wahrheit abschließen, indem sie von Gott vermuten, was sich weder in ihm noch in irgendeinem Geschöpf finden läßt. Aus den Dingen nämlich, die sich in der Schöpfung finden, pflegt die Heilige Schrift gleichsam Lockungen für Kinder zu bilden, damit durch sie die Herzen der Schwachen nach ihrem bescheidenen Maße gewissermaßen schrittweise zur Suche nach dem Höheren und zum Verlassen des Niederen hinbewegt würden. Was aber im eigentlichen Sinne von Gott ausgesagt wird und sich in keinem Geschöpfe findet, das behauptet die Heilige Schrift selten; sie tut es zum Beispiel in dem Worte, das an Moses gerichtet wurde: „Ich bin, der ich bin“, oder in dem anderen: „Der da ist, hat mich zu euch gesandt.“4 Da nämlich das Sein in irgendeinem Sinne auch vom Körper und vom Geiste ausgesagt wird, so würde sie sicher nicht so reden, wenn sie das Wort nicht in einem Gott S. 4 eigentümlichen Sinne verstanden wissen wollte. Auch mit dem Apostelwort: „der allein Unsterblichkeit besitzt“,5 ist es so. Da nämlich auch die Seele in gewisser Weise unsterblich genannt wird und ist, so würde er nicht sagen „allein besitzt“, wenn er nicht damit den Gedanken verbände, daß wahre Unsterblichkeit Unwandelbarkeit ist, welche kein Geschöpf haben kann, weil sie allein des Schöpfers ist. So spricht auch Jakobus: „Jede gute Gabe und jedes vollkommene Geschenk ist von oben, herabsteigend vom Vater der Lichter, bei dem keine Veränderung und kein Schatten einer Bewegung ist“6 Das gleiche sagt David: „Du wandelst sie, und sie werden gewandelt, du aber bist immer derselbe“.7
3. Daß also die Substanz Gottes ohne irgendeine Wandlung ihrer selbst Wandelbares wirkt und ohne irgendwelche zeithafte Bewegung Zeithaftes schafft, das einzusehen und voll zu erkennen ist schwer, und deshalb bedarf es einer Reinigung unseres Geistes, damit jenes Unaussprechliche unaussprechlich geschaut werden könne; mit ihr noch nicht begabt, werden wir durch den Glauben genährt und auf gangbarere Wege geführt, auf daß wir geeignet und befähigt werden, jene Wirklichkeit zu fassen. Daher sagt der Apostel zwar, daß in Christus alle Schätze der Weisheit und Wissenschaft verborgen sind;8 weil wir jedoch, wenn auch schon durch seine Gnade wiedergeboren, doch noch fleischlich und irdisch sind, gleichsam kleine Kinder in Christus, verkündet er ihn uns nicht nach seiner göttlichen Kraft, in welcher er dem Vater gleich ist, sondern nach seiner menschlichen Schwäche, in der er gekreuzigt wurde. Er sagt nämlich: „Denn ich glaubte kein anderes Wissen mehr unter euch zeigen zu sollen als das von Jesus Christus, und zwar dem Gekreuzigten.“ Dann fährt er fort: „Ich trat mit dem Gefühl der Schwäche und Furcht S. 5 und großem Zagen bei euch auf.“9 Gleich darauf sagt er seinen Lesern: „Meine Brüder, ich konnte zu euch nicht wie zu Geistesmenschen reden, sondern wie zu Fleischlichen. Wie unmündigen Christen gab ich euch Milch zu trinken, nicht feste Speise. Denn die vermochtet ihr noch nicht zu tragen. Ja ihr vermögt es auch jetzt noch nicht.“10 Manche geraten in Zorn, wenn man ihnen so etwas sagt, und glauben, man wolle Spott mit ihnen treiben; und vielfach wollen sie lieber glauben, daß eher diejenigen, von denen sie solche Worte hören, nichts zu sagen wissen, als daß sie selber das Gesagte nicht zu fassen vermögen. Bisweilen freilich führen wir ihnen Verstandeserwägungen an, nicht wie sie sie fordern, wenn sie über Gott (etwas zu erfahren) suchen — denn weder vermöchten sie selber solche zu erfassen, noch vielleicht vermöchten wir sie zu entdecken oder zu formulieren —, sondern solche, durch die ihnen bewiesen wird, wie ungeschickt und völlig unfähig sie sind, zu erfassen, was sie fordern. Aber weil sie nicht hören, was sie wünschen, glauben sie, wir handelten listig, um unsere Unwissenheit zu verbergen, oder böswillig, indem wir ihnen das Wissen vorenthalten wollten, und so gehen sie unwillig und verärgert von dannen.