Zweiter Artikel. Der Wille will nicht Alles, was er will, mit Notwendigkeit.
a) Dem entgegen sagt: I. Dionysius (4. de div. nom.): „Das Übel ist außerhalb des Willens.“ Also will letzterer mit Notwendigkeit das Gute. II. Der Gegenstand des Wollens steht in Beziehung zum Willen wie das Bewegende zum Beweglichen. Die Bewegung des letzteren aber folgt mit Notwendigkeit aus dem Bewegenden. III. Das gemäß den Sinnen Aufgefaßte ist der Gegenstand des sinnlichen Begehrens und ebenso ist das gemäß der Vernunft Aufgefaßte der Gegenstand des Willens. Das Erstere aber bewegt mit Notwendigkeit das sinnliche Begehren; denn, sagt Augustin (9. sup. Gen. ad litt. 14.), „die Tiere werden bestimmt durch das, was sie sehen.“ Also ist dasselbe beim Willen der Fall. Auf der anderen Seite sagt Augustin (lib. 1. Retract. 9.): „Vermöge des Willens wird gesündigt und vermöge des Willens wird recht gelebt.“
b) Ich antworte, daß der Wille nicht Alles mit Notwendigkeit will. Denn wie die Vernunftkraft ihrer Natur gemäß den ersten allgemeinen Principien anhängt, so der Wille kraft seiner Natur dem letzten Zwecke. Nun giebt es Erkennbares, was mit den ersten Principien nicht in notwendigem Zusammenhange steht, wie jene Sätze, welche Zufälliges zum Gegenstande haben, aus deren Leugnung also nicht die Leugnung der ersten Principien folgt; — und solchen Sätzen stimmt die Vernunft nicht mit Notwendigkeit zu. Andere Sätze wie die, welche streng bewiesen werden, hängen mit den ersten Principien notwendig zusammen. Werden sie geleugnet, so muß man auch letztere leugnen. Diesen Sätzen stimmt die Vernunft, sobald sie nur den Zusammenhang kennt, mit Notwendigkeit zu. Ist sie aber kraft der Beweisführung noch nicht zur Kenntnis der Notwendigkeit des Zusammenhanges gelangt, so ist ihre Zustimmung keine notwendige. Ähnlich verhält es sich beim Willen. Denn einige Güter giebt es, welche keinen notwendigen Zusammenhang mit dem letzten Zwecke, dem allseitigen Wohl, haben; ohne welche also jemand glücklich sein kann; — diesen hängt der Wille nicht mit Notwendigkeit an. Andere Güter giebt es, ohne welche notwendig die Seligkeit oder das schließliche Gesamtwohl nicht bestehen kann; nämlich Gott und was Ihm zugehört. Ehe jedoch dem Menschen diese Notwendigkeit vermittelst der Anschauung des göttlichen Wesens klar geworden, hängt er Gott und dem, was Gottes ist, nicht notwendig an. Nur wenn er Gott schaut, muß er Ihm anhängen, sowie er jetzt sein eigenes Wohl wollen muß. Nicht also notwendig will der Wille Alles, was er will.
c) I. Der Wille kann nur wollen, was für ihn den Charakter des Guten hat. Solches aber ist mannigfach. II. Wenn die Macht des Bewegenden über die des Beweglichen hinaus geht; dann hat dieses keine Möglichkeit mehr, nicht zu folgen. Kein beschränktes Gut aber erschöpft die Möglichkeit des Willens, die auf alles Gute sich richtet. III. Die Vernunft vergleicht ein Gut mit dem anderen; also kann der Wille aus mehreren vorgestellten Gütern eines wählen. Der Sinn aber vergleicht nicht, sondern erfaßt etwas gerade als Einzelnes, Gesondertes. Somit besteht da keine Analogie.
