Erster Artikel. Der menschliche Wille und die Notwendigkeit.
a) Es scheint, daß der Wille nichts mit Notwendigkeit will. Denn: I. Augustin (5. de Civ. Dei 10.) sagt: „Wenn etwas notwendig ist, entspringt es nicht dem Willen.“ II. Die Vermögen der Vernunft verhalten sich gleichmäßig zu den beiden Gliedern eines Gegensatzes; sie können das eine oder das andere. „Der Wille aber ist im Verstande,“ wie es 3. de anima heißt. Also wird der Wille nicht zu Einem mit Notwendigkeit bestimmt. III. Nach dem Willen sind wir Herren unseres Wirkens. Dessen aber, was wir aus Notwendigkeit thun, sind wir nicht Herren. Auf der anderen Seite sagt Augustin (13. de Trin. cap. 4.): „Selig sein wollen wir alle mit dem einen gleichen Willen.“ Wenn dies aber nicht notwendig wäre, würden doch wenigstens manche nicht selig sein wollen; denn sie könnten dann oder sie könnten auch nicht es wollen. Also wollen wir etwas mit Notwendigkeit.
b) Ich antworte, daß der Ausdruck „Notwendigkeit“ in vielfacher Weise gebraucht wird: 1. Notwendig wird genannt, was kein Nichtsein haben kann. Das kommt aber zuvörderst dem Dinge einem inneren Princip zufolge zu, sei dies das materiale bestimmbare Princip, wie wenn wir sagen, daß jegliches Ding, welches aus einander entgegengesetzten Elementen besteht, notwendig der Auflösung zugänglich ist; oder sei dies das formale bestimmende Princip, wie es notwendig z. B. ist, daß die drei Winkel eines Dreiecks gleich 2 R sind. Das ist die natürliche und unbedingte Notwendigkeit. 2. Es wird ferner etwas als notwendig bezeichnet auf Grund von etwas dem Dinge Äußerlichem, entweder auf Grund des Zweckes, wie wenn ich des Schiffes bedarf, um überhaupt nach Amerika zu kommen oder auch nur, um leicht und bequem irgendwohin zu gelangen; oder auf Grund der außenstehenden einwirkenden Ursache, wie wenn jemand gezwungen wird von etwas Anderem, so daß er das Gegenteil nicht thun kann. Letztere Notwendigkeit nun ist durchaus dem Willen zuwider. Denn das nennt man erzwungen, was gegen die Neigung des betreffenden Seins ist. Die Willensbewegung selber ist aber ihrer Natur nach eine Neigung zu etwas. Und wie deshalb jenes natürlich genannt wird, was der Neigung der betreffenden Natur gemäß ist; so wird etwas als Wille bezeichnet, was der Neigung des Willens gemäß ist. Wie also nichts zugleich erzwungen und natürlich sein kann, so kann von vornherein nichts vom Willen kommen und erzwungen sein. Die Notwendigkeit aber, welche vom Zwecke kommt, widerstrebt dem Willen nicht, wenn man den Zweck nur durch ein einziges Mittel erreichen kann; wie z. B. ohne Schiff das Meer nicht durchmessen werden kann. Auch die Notwendigkeit, die in der Natur liegt, widerstrebt nicht dem Willen. Wie nämlich die Vernunft mit Notwendigkeit den ersten allgemeinen Principien zustimmt, so muh der Wille den letzten Zweck, sein Wohl oder seine Seligkeit wollen; denn der letzte Zweck ist das erste Princip für das Wirken. Was nämlich einem Wesen von Natur und in unverrückbarer Weise zukommt, das muß das Princip und das Fundament von allem Übrigen sein, was zukommen kann oder auch nicht; denn die Natur ist das Erste in jedem Dinge und alles in Bewegung Seiende läßt sich auf ein Unbewegliches zurückführen.
c) I. Augustin spricht von der Notwendigkeit des Zwanges. Die Notwendigkeit, welche von der Natur kommt, ist der Freiheit des Willens nicht entgegen. II. Der Wille entspricht in dem, was er von Natur aus will, mehr der Vernunft, welche die ersten allgemeinen Principien auffaßt; wie dem „Ver stande“, der da von einem auf das andere schließt und gleichgültig von sich aus ist für die beiden Gegenüber eines Gegensatzes. Danach ist der Wille so aufgefaßt mehr ein Vermögen in der Vernunft, wie. im „Verstande“. III. Die Auswahl hat nie den Zweck zum Gegenstande. (3 Ethic. cap. 2.) Wir sind aber Herren unserer Handlungen, je nachdem wir das oder jenes als Mittel zum Zwecke erwählen können. Also ist der letzte Zweck, d. h. das Wohl oder Glück des Willens oder der Seele nicht ein Gegenstand, über den wir Herren sind.
