2.
Mir scheint es aber geeignet, die nähere Behandlung des Angeführten auf eine andere Zeit zu verschieben. Ich wünsche für die gegenwärtige Gnade ein angemessenes und entsprechendes Wort ausfindig zu machen. Worin besteht nun dieses? Ich kenne ein besonderes Gesetz der Natur, das in die göttlichen Tafeln selbst von dem Gesetzgeber der Natur eingegraben ist, das jede gute Gabe den Eltern zu spenden befiehlt, welche nur immer im Gebiet der Möglichkeit liegt. Denn er sagt: „Ehre deinen Vater und deine Mutter,“ ― und das ist das erste Gebot mit einer Verheissung, ― „damit es dir wohl ergehe.“1 Wenn aber in Bezug auf die Verheissung dieses Gebot die erste Stelle einnimmt und die Befolgung desselben Dem selbst Gewinn bringt, der es beobachtet, ― denn die Ehre, die wir den Eltern erweisen, fällt auf Den zurück, welcher das Gesetz erfüllt hat, ― so dürfte es passend sein, daß Jeder, der Verstand besitzt, auf dieses Gebot schaue, dessen Endziel Wohlthat und Gnade für Den ist, der es erfüllt. Die Väter unseres Fleisches aber, welche ihrem Zeitalter nach der von Anfang ihnen festgesetzten Zeit Dienste erwiesen, haben nicht nöthig, von uns geehrt zu werden, da sie längst das Leben verlassen haben, so daß es nicht möglich ist, ein solches Gebot zu erfüllen, da Die nicht mehr sind, welchen die Wohlthat zu Gute käme; das Gesetz aber fordert uns auf, durch unsere Thätigkeit der Verheissung uns theilhaftig zu machen. Denn es ist nicht möglich, daß die Unthätigen die Kampfpreise der Thätigen erhalten. Was muß nun Der thun, welcher keine Eltern mehr hat und auf der einen Seite der Verheissung theilhaftig zu werden wünscht, auf S. 429 der andern aber ausser Stande ist, diesem Ziele nachzustreben? Das, was sich den Augen darbietet, löst uns fürwahr die Schwierigkeit gründlich. Denn bei euerem Anblick brauche ich nach keinen weiteren Vätern zu forschen. Denn ihr seid meine Väter, die ihr auch die Väter meiner Väter seid. Denn das Vaterland der Eltern umfaßt in sich auch die Würde der Eltern.
Was müssen wir nun thun, um das Gebot, euch in Ehren zu halten, zu erfüllen? Ein dankbarer und liebevoller Sohn nun, der das Greisenalter seines Vaters durch seine Pflege auffrischt, wird die Stütze seines gebrechlichen Alters, indem er vom Vater sich zu Allem gebrauchen läßt. Daher kann man den Vater im Sohne aufblühen sehen, und mitunter gewinnt eine alte und zitternde Hand, indem sie auf die Jugendkraft sich stützt, die Stärke des Jünglings, und die Bewegung der Füße, die wegen der gekrümmten Glieder eine kauernde ist, wird durch die Bemühung des Sohnes kräftig, da sie durch seine Unterstützung aufgerichtet wird. Und wenn das Gesicht durch das Alter schwach wird, so bekömmt der Greis durch seinen Sohn wieder scharfe Augen, indem er zur Befriedigung der nothwendigen Lebensbedürfnisse an der Hand geleitet wird. Ihr aber, die ihr mir Stelle des Vaterlandes vertretet, seid nicht in einer Lage, daß euch Etwas hievon nöthig wäre. Was sollen wir nun thun, um den Segen des Gebotes zu ernten? Welche angenehme Gabe werden wir euch darbringen, da euch kein Gut mangelt? Oder würde die Aufzählung der Güter, die ihr besitzt, zur Ehre gehören, die man euch schuldig ist? Es wäre also an der Zeit, davon zu reden, mit was für herrlichen Dingen euer Leben geschmückt ist. Ja, man kann nicht bloß davon reden, sondern auch darauf mit dem Finger deuten. Aber glaubt ihr etwa, dieß Gewöhnliche, was leicht aufzufinden ist, würde ich sagen, ich würde reden von der Fruchtbarkeit der Erde, von der Üppigkeit der Früchte, von dem Flusse, der euere Wohnungen durchschneidet? Ich meine diesen, der sein S. 430 Gewässer rings von Land umgrenzen läßt und zum See wird, der sowohl bevor er sich als See ausgießt, als auch nachher nach dem Bedürfniß eines jeden Bewohners sich zertheilt und Haine und Wiesen kunstgerecht durchbricht und Denen, welche sie bewohnen, unzählige Gunstbezeigungen erweist, indem er jedem Wunsch der Stadtbewohner entsprechend sich spaltet. Aber das sollen Andere sagen, welchen auch das Wort zur Ausschmückung zu Gebote steht und von den Geübten eine hohe Meinung einflößt, indem es durch dergleichen Dinge den Ruhm des Vaterlandes erhöht. Ein Weltmann, der das Treffliche in diesem Leben zu beurtheilen versteht, mag auch, wenn es ihm gut dünkt, den zweiten der Flüsse zu den Lobsprüchen hinzufügen, der durch seine Größe zu den erwähnenswerthen Flüssen der Erde zählt und in unserm Lande entspringend zuletzt an der Stadt vorbeifließt und seinerseits keinen geringen Beitrag zur Vermehrung der Schönheit und der Bequemlichkeiten des Lebens liefert. Und wenn man die Gründer aufzählen und die Abstammung der eingewanderten Einwohner oder einige große Thaten einer Kriegsmacht durch unsere weiteren Erzählungen verherrlichen soll: so sind Siege, Schlachten und alle Wunder der Tapferkeit, welche die Geschichtschreiber in den Büchern aufbewahrt haben, weit von dem Zwecke unserer Versammlung entfernt. Denn es schämt sich das christliche Wort, von den Ungläubigen die Lobsprüche für die Anhänger Christi zu entlehnen, wie Die, welche den Schatten des Helden vor dem Siege verherrlichen.
Es wende sich also die Rede zum vorliegenden Gegenstand und führe uns euere Frucht vor Augen. Man schweige aber von der weltlichen Schönheit, wenn diese auch Stoff zu einer Lobrede in übermäßiger Fülle darböte. Denn nicht einmal der ganze Himmel, das Schönste und Größte, was es in der ganzen Schöpfung gibt, noch der Glanz der Leuchten noch der weite Umfang der Erde noch sonst ein Element des Weltalls scheint dem von Gott eingegebenen S. 431 Wort groß und bewundernswerth. Ich habe mich durch das göttliche Gebot belehren lassen, auf nichts Vergängliches mit Bewunderung zu schauen. Wenn nun der ganze Himmel und die Erde vergehen werden2 und die ganze Gestalt der Welt vorübergeht,3 wie der Apostel sagt, wie könnte man es für geziemend halten, uns die Fruchtbarkeit der Erde und des Wassers als Stoff zu einer Lobrede vorzuschlagen! Denn wenn auch euer Wohnort diese Vorzüge der Erde mehr besitzt als ein anderer, so kann doch in Vergleich mit eueren übrigen Gütern die Rede jene als werthlos übergehen. Wollen wir uns also in unseren Lobsprüchen zu Dem wenden, was höheren Werth hat. Das wird sich uns aber nicht mehr in Worten zeigen, sondern man kann auf das höchste euerer Güter selbst sehen. Denn wer kennt euere Frucht nicht, daß ihr die Ähre der Martyrer hervorgebracht, diese reichhaltige Ähre, die in der Zahl der Fruchtkörner sich über dreissig erhebt? Seht dieses heilige Land, von daher kommen die Ährenbüschel der Martyrer! Wenn du wissen willst, welches Land ich meine, so wende deinen Blick nicht in die Ferne! Welches ist der Ort, der die Versammlung umschließt? Was sagt dir die jährliche periodische Wiederkehr? Welche Erinnerungen frischt dieser Tag in dir auf? Sind es nicht, wie der Prophet sagt, gewisse Gespräche und Reden, deren Laut man beinahe vernimmt,4 der deutlicher als jede Rede die Wunder verkündet? Wenn du auf den Platz siehst, so sagt er dir von selbst, daß er die Rennbahn der Martyrer sei; wenn du an den Tag denkst, so verkündet er dir wie ein laut rufender Herold den Kranz der Martyrer. Das glaube ich den Tag rufen zu hören: „Ein Tag rühmt sich der Schöpfung der Lichter, ein anderer jubelt über den Himmel und ein anderer über die Gründung der Erde. Mir aber genügen zur Zierde die Wunder der Martyrer. Es genügt mir, mit S. 432 der Schönheit der Kränze geschmückt zu werden, es genügt mir, mit den Siegestrophäen über den Teufel mich zu zieren. Welche Erzählungen sind von mir ausgegangen! Welche Zunahme haben die Engel durch mich erlangt! Welche Frucht ist durch die Erde Gott zu Theil geworden! Welche Pflanzung hat der Herr in mir gepflanzt, womit beinahe die ganze Erde durch die abgezweigten Sprößlinge bepflanzt ist, wie ein üppiger Weinstock aus sich auch andere Weinstöcke hervorbringt und dabei selbst ungeschwächt fortdauert!“ Dieß und Ähnliches scheint die Gnade des heutigen Tages uns als Freudenbotschaft zu bringen, und Ähnliches ausserdem der Ort der Versammlung.
Aber was soll mir begegnen, wenn ich zu einem so zahlreichen Volke spreche mit meiner schwachen Stimme und langsamen Zunge, da ich mich den nahe Stehenden kaum vernehmbar mache, indem das Geräusch meine Worte übertönt? Denn sonst hätte ich bei den guten Erzählungen verweilt, wie die trefflichen vierzig Hausgenossen gemeinsam kämpften, überall gemeinsam sich niederließen und überall sich theilen und mit einander Unterkunft finden. Jeder also, der ein theilweises Geschenk von den Überresten empfängt, erhält von ihrer Gesammtheit die irdische Hülle. Denn da Alle im Herrn eine Einheit sind, so werden sie in einem Individuum mit ihrer ganzen Fülle aufgenommen. Aber wie ist es möglich, daß die Rede sich keiner Ungerechtigkeit schuldig macht, welche den Anfang bei Erzählung ihrer Thaten übergeht?
Welches ist nun der Anfang? Eine gute ausgezeichnete Jugend, unerschütterlicher Glaube, durch den Alle auserwählt, durch Schönheit ausgezeichnet, in ihrer Größe Sprößlingen vergleichbar sind in der Blüthe des Alters. Seht ihr wie die Stimme durch das Geräusch gestört und die Rede durch den Lärm unterbrochen wird, so daß wir, von den Stimmen des Volkes wie durch ein S. 433 wogendes Meer bestürmt, nothgedrungen in den wellenfreien Hafen des Stillschweigens uns flüchten. Sollte aber mit der Gnade Gottes sich uns ein zweites Mal Gelegenheit bieten, vor ruhigen Zuhörern hievon zu sprechen, so werden wir unter dem Beistande Gottes, was wir heute ausgelassen haben, nachholen. Ihm sei Ehre von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen.III. Zweite Rede auf die heiligen vierzig Martyrer.
