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Christi Geburt, die eigentliche und erste, seine Gottheit betreffende, soll in Schweigen verehrt werden; ja selbst unserm Denken wollen wir wehren, über dies Geheimnis auch nur nachzugrübeln. Denn wo noch keine Zeit, kein Zeitraum vermittelt hat, wo noch keine Ausdrucksform gefunden war, wo kein Augenzeuge dabei war und kein Erzähler berichtet, wie soll da der Verstand sich eine Vorstellung machen? Wie soll da die Zunge dem Gedanken Ausdruck verleihen? Der Vater war, und der Sohn wurde geboren. Sage nicht: Wann? Übergeh vielmehr diese Frage! Frage nicht: Wie? Denn unmöglich ist eine Antwort darauf. Denn das „Wann“ ist ein Zeitbegriff, das „Wie“ aber verleitet S. 405 uns zur Vorstellung von leiblichen Geburten. Ich kann an Hand der Schrift nur sagen, daß er gleichsam „der Abglanz der Herrlichkeit“ und gleichsam das Ebenbild des Urbildes ist1.
Doch weil eine solche Antwort deinen grübelnden Geist noch nicht befriedigt, so flüchte ich mich in die Unaussprechlichkeit der Herrlichkeit und bekenne, daß die Art der göttlichen Geburt weder mit der Vernunft erfaßbar, noch mit Worten erklärbar ist. Sage nicht: „Wenn er geboren wurde, so war er nicht2.“ Hasche nicht mit Gewalt in arglistiger Rede nach geschmacklosen Vorstellungen; beflecke nicht mit solchen Beispielen die Wahrheit, und verzerre nicht die Lehre über Gott! „Er wurde geboren“, sagte ich, um seinen Ursprung und seine Verursachung anzudeuten, nicht um den Eingeborenen als zeitlich später zu bezeichnen. Möge aber dein Verstand nicht in eine Leere sich versteigen und in Jahrhunderte zurückgehen, die früher sein sollen als der Sohn, tatsächlich aber weder sind noch waren. Wie können denn die Geschöpfe älter sein als ihr Schöpfer? Doch, was ich vermeiden wollte, in das bin ich im Verlaufe meiner Rede unversehens geraten. Wir wollen also das Thema von jener ewigen und unaussprechlichen Geburt verlassen in der Erwägung, daß unser Verstand dafür zu schwach und unsere Sprache wieder zu unbeholfen, den Gedanken Ausdruck zu geben.
