5.
S. 412 „Als nun Joseph vom Schlafe aufstand, nahm er sein Weib zu sich1“. Obschon er mit der Neigung und Liebe und vollen Anhänglichkeit eines Verehelichten Maria als sein Weib betrachtete, so enthielt er sich doch der ehelichen Werke. „Denn er wohnte ihr nicht bei,“ heißt es, „bis sie ihren erstgeborenen Sohn geboren hatte2.“ Dieser Ausdruck legt nun ja schon die Vermutung nahe, daß Maria, nachdem sie bei der durch den Hl. Geist verursachten Geburt des Herrn in (jungfräulicher) Reinheit mitgewirkt hatte, fortan den legitimen ehelichen Umgang nicht mehr abgewiesen hat. Obschon solche Annahme einem gottesfürchtigen Glauben keinen Eintrag täte — denn nur bis zur Dienstleistung beim Heilswerk war die Jungfräulichkeit notwendig; was hernach geschah, bleibt für das Geheimnis (der Erlösung) belanglos —, wir, die wir als Christusfreunde es nicht hören können, daß die Gottesgebärerin3 einmal aufgehört hätte, Jungfrau zu sein, wir halten gleichwohl die angeführten Zeugnisse (für eine stete Jungfrauschaft Mariä) für ausreichend. Zur Stelle: „Er wohnte ihr nicht bei, bis sie ihren Sohn geboren hatte“ sei gesagt, daß zwar die Partikel „bis“ häufig einen Zeitabschluß zu bedeuten scheint, in Wirklichkeit aber die Unbestimmtheit besagt. Ein Beispiel dafür ist das Wort des Herrn: „Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis ans Ende der Welt4.“ Der Herr wird ja doch sicher auch nach dieser Weltzeit bei seinen Heiligen verbleiben. Die Verheißung der Gegenwart deutet vielmehr die Fortdauer an und ist kein Ausschluß der Zukunft. Ebenso ist unseres Erachtens auch hier das Wörtchen „bis“ gefaßt.
Wenn es aber heißt „Erstgeborener“, so verlangt der Erstgeborene nicht schlechthin schon eine Beziehung zu Nachfolgenden; vielmehr wird eben der, welcher zuerst den Mutterleib öffnet, Erstgeborener genannt.
S. 413 Es beweist aber auch die Geschichte mit Zacharias, daß Maria allezeit Jungfrau geblieben ist. Es geht nämlich eine Sage, und sie ist auf dem Wege der Tradition auf uns gekommen, daß Zacharias Maria nach der Geburt des Herrn einen Platz unter den Jungfrauen angewiesen habe und dafür von den Juden zwischen Tempel und Altar getötet worden sei — eben auf die Anschuldigung des Volkes hin, er habe damit jenes wunderbare und vielgepriesene Zeichen bestätigt, wonach eine Jungfrau geboren, ohne die Jungfrauschaft zu verletzen5.
„Als Jesus geboren war“, heißt es, „zu Bethlehem in Judäa, zur Zeit des Königs Herodes, siehe, da kamen Magier aus dem Morgenlande nach Jerusalem und sprachen: Wo ist der neugeborene König der Juden6?“ Die Magier waren persischer Herkunft, gaben sich ab mit Wahrsagerei, Zauberei und außernatürlichen Kräften und verlegten sich auch auf die Beobachtung der Himmelserscheinungen. In dieser Wahrsagekunst scheint aber auch Balaam bewandert gewesen zu sein, den Balak kommen ließ, um über Israel mit gewissen Zeremonien den Fluch auszusprechen, und der in seinem vierten Gleichnisse also vom Herrn redet: „Es spricht der Mann, der da sieht, der da hört Gottes Worte, der da kennt die Lehre des Höchsten, der das Gesicht Gottes im Schlafe sieht, dessen Augen geöffnet sind. Ich will es ihm zeigen, aber nicht jetzt; ich preise ihn glücklich; aber er ist nicht nahe. Es wird aufgehen ein Stern aus Jakob, und aufstehen ein Mann aus Israel7.“ Darum wollten S. 414 die Magier den Ort in Judäa aufsuchen — in Erinnerung an die alte Weissagung8 — und kamen, zu fragen, wo der neugeborene König der Juden wäre. Wohl möglich, daß sie auch schon wahrgenommen hatten, wie mit der Ankunft des Herrn die feindliche Macht schon geschwächt worden und deren Wirksamkeit ein Zurückgehen war und darum dem Geborenen eine große Macht zugeschrieben haben. Deshalb haben sie auch dem Kinde, nachdem sie es aufgefunden hatten, Geschenke dargebracht und es angebetet. Magier, ein gottentfremdetes und den Testamenten fernstehendes Volk, sind zuerst gewürdigt worden, zu huldigen, weil die Zeugnisse von seiten der Feinde glaubwürdiger sind. Hätten die Juden zuerst angebetet, so hätte man glauben können, sie wollten nur ihren eigenen Stamm verherrlichen. Nun aber beten das Kind als Gott solche an, die in keiner Weise mit ihm verwandt sind, damit die Verwandten gerichtet werden, die, welche den kreuzigten, den die Fremdländischen angebetet hatten. Da sie die Bewegungen der Himmelskörper studierten, betrachteten sie jene wunderbare Erscheinung am Himmel, den neuen, ungewöhnlichen Stern, der bei der Geburt des Herrn aufgegangen war, nicht gleichgültig.
Matth. 1, 24. ↩
Matth. 1, 25. ↩
ϑεοτόκος [theotokos] kann kein ernsthaftes Bedenken gegen die Echtheit der Homilie wecken. (Vgl. Usener H., Das Weihnachtsfest, Bonn 1911, S. 249, Anm. 6.) ↩
Matth. 28, 20. ↩
Origenes (in Matthäi Comment. c. 25; MPG XIII, 1631 sq.) berichtet dieselbe Legende, wobei bei ihm fraglich bleibt, ob er sich auf eine schriftliche Quelle oder nur auf eine mündliche Ueberlieferung stützte. Auch bei Gregor von Nyssa, bzw. in einer zweifelhaft ihm gehörigen Homilie in generationem Christi etc. (Migne PG XLVI, 1137) ist die Sage verwertet. — Wenn auch die Verwertung solch apokrypher Nachricht oder Schrift in dieser Homilie die Verfasserschaft eines Basilius noch nicht ausschließt, befremdlich bleibt oder bliebe sie. Zur Zachariaslegende vgl. Berendts, Studien über Zachariasapokryphen, Leipzig 1895, S. 25 ff. ↩
Matth. 2, 1—2. ↩
Num. 24, 15—17. ↩
Die Zerstreuung der Juden im weiten Orient zumal nach der babylonischen Gefangenschaft ließ Bibel und Prophetie auch in nichtjüdische Kreise dringen. ↩
