1. Antwort
Daß also das Gesetz die in uns von Natur liegenden Keime der Kräfte pflegt und nährt, ist von uns früher gesagt worden. Da uns nun geboten ist, den Nächsten wie uns selbst zu lieben, so lasset uns sehen, ob wir auch die Kraft zur Erfüllung dieses Gebotes von Gott empfangen haben. Wer weiß wohl nicht, daß der Mensch ein zuthunliches und geselliges Geschöpf ist und nicht einzeln in der Wildniß lebt? Denn Nichts ist unserer Natur so eigenthümlich wie Dieses, daß wir gesellig mit einander leben, einander bedürfen und unsere Stammgenossen lieben. Wovon nun aber der Herr selbst die Keime in uns vorher gelegt hat, davon fordert er auch folgerichtig die Früchte, indem er sagt: „Ein neues Gebot gebe ich euch, auf daß ihr euch einander liebet.“1 Und indem er unsere Seele zur Erfüllung dieses Gebotes anregen will, fordert er als Kennzeichen seiner Jünger nicht wunderbare Zeichen und Kräfte, — denn auch dazu hatte er ihnen im heiligen Geiste die Macht verliehen, — sondern was sagt er? „Daran werden Alle erkennen, daß ihr meine Jünger seid, wenn ihr Liebe habt gegen einander.“2 Und überall gibt er diesen Geboten eine solche Verbindung, daß er die Wohlthätigkeit gegen den Nächsten auf sich selbst bezieht. „Denn ich war hungrig,“ sagt er, „und ihr habt mich gespeiset u. ff.“ Dann fügt er bei: „Was ihr einem dieser meiner geringsten Brüder gethan habt, Das habt ihr mir gethan.“3
