1. Antwort
Hinsichtlich der Leidenschaften der Seele gibt es nur ein Maß der Enthaltsamkeit, nämlich die gänzliche Entfernung von Dem, was zu der verderblichen Lust führt. Wie hinsichtlich der Speisen aber die Bedürfnisse nicht gleich, sondern nach Alter, Lebensweise, körperlichem Befinden angemessen verschieden sind, so ist denn auch das Maß und die Weise des Genusses verschieden. Daher können denn auch nicht Alle, welche sich der Übung der Frömmigkeit widmen, in einer und derselben Regel zusammengefaßt werden. Wir bestimmen nur das Maß für die gesunden Asceten, überlassen aber, je nach dem Befinden eines jeden davon abzuweichen, dem vernünftigen Ernste derer, welche für die Verwaltung bestimmt sind. Denn der Vortrag kann nicht alle Einzelheiten umfassen, sondern beschränkt sich auf das Gemeinsame und Allgemeine. Denn für die Kranken, oder wer sonst von anstrengenden Arbeiten ermüdet ist oder sich auch zu einem schweren Geschäfte rüstet, wie zu Reisen oder einem anderen Unternehmen, mögen die Vorsteher immer nach Bedürfniß die Speisen S. 97 bestimmen, Dem nachfolgend, der da sprach: „Jedem wurde ausgetheilt, je nachdem er bedürftig war.“1 Es kann daher für Alle weder dieselbe Zeit noch dieselbe Art noch dasselbe Maß des Essens bestimmt werden; sondern der gemeinsame Zweck muß sein die Befriedigung des Bedürfnisses. Dagegen ist es fluchwürdig, den Magen zu überfüllen und mit Speisen zu beladen, da ja der Herr sagt: „Wehe euch, die ihr jetzt gesättigt seid!“2 Die Überladung macht den Körper untauglich zur Arbeit, schläfrig und empfänglich für Krankheiten. Auch darf der Zweck des Essens nicht das Wohlbehagen sein, sondern das Lebensbedürfniß mit Abweisung der ungezügelten Sinnlichkeit. Denn den Lüsten dienen, ist nichts Anderes, als den Bauch zu seinem Gott machen. Da aber unser Leib sich immer entleert und abgibt, so bedarf er der Anfüllung und hat daher ein natürliches Verlangen nach Nahrung und fordert zur Erhaltung seines Organismus, bei der rechten Weise die Speisen zu gebrauchen, die Wiedererstattung dessen, was durch Entleerung abgegangen ist, mag das Bedürfniß nun trockene oder nasse Nahrung sein.
