V.
Ja sogar Protagoras, der nicht die ganze Erde durchwanderte und predigte, sondern nur in einer Stadt sich erkühnt hatte zu sagen: „Ich kenne keine Götter,“ kam bei den Griechen in die äusserste Gefahr.1 Auch Diagoras von Milet und Theodor, mit dem Zunamen „Atheos“, welche doch Freunde hatten, berühmte Redner waren und wegen ihrer Weisheit bewundert wurden, konnten sich dadurch keineswegs retten. Ja selbst der große Sokrates, der berühmteste aller griechischen Philosophen, mußte darum den Giftbecker trinken, weil er im Verdachte stand, in der Götterlehre nur eine kleine Änderung zu versuchen. Wenn nun aber der bloße Verdacht einer Neuerung jenen Philosophen und Weisen, die in der höchsten Acktung standen, so große Gefahr zuzog, und wenn sie ihre Absicht nicht nur nicht erreichten, sondern sogar Leben und Vaterland einbüßten: wie, erfüllt es dich nicht mit Bewunderung und Staunen, wenn du siehst, wie der Fischer auf der ganzen Erde ein so großes Werk ausführte, wie ihm sein Unternehmen gelang, wie er alle Barbaren und Griechen besiegte? „Aber diese führten keine neuen Götter ein, wie Jene,“ sagst du? Das ist ja eben das Wunderbarste, daß sie eine zweifache Neuerung einführten, nämlich daß sie die S. 66 Götter, die da verehrt wurden, stürzten und den Gekreuzigten verkündeten. Denn wie kamen sie auf den Gedanken, so zu predigen? Woher konnten sie auf sichern Erfolg rechnen? Welche Männer hatten sie denn vor sich, denen ein ähnliches Unternehmen gelungen war? Beteten nicht Alle die Dämonen an? Vergötterten nicht Alle die Elemente? Gab es nicht mancherlei Arten des Götzendienstes? Dennoch griffen die Apostel alles Dieses an und zerstörten es; in kurzer Zeit durcheilten sie wie beflügelt die ganze Erde, achteten nicht der Gefahren, der mancherlei Todesarten, der Schwierigkeiten, nicht ihrer kleinen Anzahl, nicht der Menge, der Macht und der Weisheit ihrer Feinde; denn es stand ihnen eine Macht zu Gebote, die stärker war als Dieß alles, — die Macht des Gekreuzigten und Auferstandenen.
Hätten sie mit der ganzen Welt einen sichtbaren Kampf unternommen, so wäre Das nicht so wunderbar, als was wirklich geschah. Sie hätten sich dann nach Kriegsrecht gegen ihre Feinde stellen, in’s feindliche Gebiet eindringen, die Gegner dort angreifen und die Zeit zum Angriffe und Handgemenge wählen können. Hier geschah nichts Dergleichen. Sie hatten kein eigenes Heerlager, sondern waren mitten unter den Feinden zerstreut und besiegten sie dennoch; und obgleich von den Feinden umringt, schlugen sie ihre Angriffe ab, behielten die Oberhand, ja erfochten einen glänzenden Sieg, wodurch die Weissagung erfüllt wurde, worin es heißt: „Du wirst herrschen in der Mitte deiner Feinde.“2 Denn Das war eben das Erstaunlichste, daß die Feinde, nachdem sie die Apostel gefangen, in Kerker und Bande geworfen, über diese nicht nur nicht siegten, sondern nachmals sich selbst denselben unterwarfen, — die Geißelnden den Gegeißelten, die Bindenden den Gebundenen, die Verfolger den Verfolgten. S. 67 — Dieß alles sagen wir den Griechen, ja noch viel mehr als Das; denn wir haben großen Reichthum an Wahrheit; und wollt ihr der Beweisführung folgen, so will ich euch den ganzen Kampf gegen sie lehren. Für jetzt wollen wir nur zwei Hauptpunkte festhalten, nämlich: wie konnten die Schwachen über die Starken den Sieg davontragen? Und woher kam ihnen in der Lage, in welcher sie waren, der Gedanke, Solches zu unternehmen, wenn sie nicht des göttlichen Beistandes sich zu erfreuen hatten?
