IV.
Denn Nichts ist so unbesonnen, Nichts so unvernünftig, thöricht und ungestüm als die Sünde: Alles verkehrt, verwirrt und verdirbt sie, wohin sie nur kommt; sie bietet einen häßlichen Anblick, ist lästig und unerträglich. Und wenn ein Maler sie darstellen wollte, so würde er, meiner Ansicht S. 156 nach, nicht irren, wenn er sie als halb Weib, halb Ungeheuer, als barbarisch, feuerspeiend, schwarz und wild hinstellte, so wie die heidnischen Dichter die Scylla beschreiben. Mit tausend Händen bemächtigt sie sich unserer Gedanken, schleicht sich unvermerkt ein und zerreißt Alles, gleich den Hunden, die heimlich beissen. Jedoch wozu bedarf es eines Bildes, da wir Diejenigen, die Solches thun, vorführen können? Welchen soll ich euch zuerst schildern? Den Geizigen und Räuber? Was ist frecher, was unverschämter und hündischer, als der Blick eines solchen? So schamlos ist kein Hund wie dieser, der Alle beraubt. Was ist verruchter als jene Hände? was unverschämter als jenes Maul, das Alles verschlingt und doch nicht satt wird? Sein Angesicht, seine Augen mußt du nicht als Menschenaugen betrachten; denn Menschenaugen blicken nicht also. Ein solcher sieht die Menschen nicht für Menschen an, den Himmel nicht als Himmel; er schaut nicht zum Herrn auf; er sieht nur überall Geld. Menschenaugen pflegen auf die Armen zu schauen und sich zu erbarmen; diese Räuberaugen sehen die Armen und werden wildzornig. Menschenaugen sehen fremdes Eigenthum nicht als das ihrige an, sondern betrachten sogar die eigene Habe als fremd; sie haben keine Begierde nach Dem, was Anderen gegeben ist, sondern theilen sogar ihr Eigenes Andern mit; diese hingegen sind erst zufrieden, wenn sie alles fremde Eigenthum an sich gerissen haben: ihr Blick ist nicht der eines Menschen, sondern der eines reissenden Thieres. Die Menschenaugen können ihren eigenen Leib nicht nackt sehen, — den Leib des Nebenmenschen nämlich sehen sie als den ihrigen an; diese hingegen, die Nimmersatten, können nicht voll werden, bis sie Alles nackt ausgezogen und in ihre Häuser geschleppt haben. Darum sollte man ihre Hände nicht einfach Thierkrallen nennen; sie sind ja reissender und schrecklicher als diese. Denn Wölfe und Bären lassen vom Fraße ab, sobald sie gesättiget sind; diese hingegen werden nimmer satt. Gott hat uns doch darum Hände gegeben, damit wir Andern helfen, und nicht, daß wir ihnen nachstellen. Wollten S. 157 wir sie dazu gebrauchen, so wäre es besser, sie abzuhauen und ohne Hände zu sein. Es thut dir leid, wenn ein Schaf von einem Raubthier zerrissen wird; thust du nun Dasselbe gegen Deinesgleichen, kommt dir Das nicht als eine Missethat vor? Und wie willst du so noch ein Mensch sein? Menschlich nennen wir eine That, die voll Güte und Mitleid ist; was aber grausam und wild ist, nennen wir unmenschlich. Den Hauptzug des Menschen nehmen wir vom Erbarmen her und den des Thieres vom Gegentheil, indem wir immer sagen: Ist denn der Mensch ein Vieh oder ein Hund?
Denn die Menschen helfen der Armuth ab, vermehren sie aber nicht, — auch ihr Mund ist der Rachen eines wilden Thieres, ja noch weit ärger als dieser; denn sie sprechen Worte, die mehr Gift und Mord verbreiten als die Zähne jener Raubthiere. Und will Jemand Alles durchgehen, so wird er leicht finden, wie die Grausamkeit die Menschen zu Thieren macht. Und untersucht man ihre Gesinnung, so wird man sie nicht bloß Thiere, sondern sogar Teufel nennen müssen; denn sie sind voll Grausamkeit und Haß gegen ihren Nebenmenschen: da ist keine Liebe zum Himmel, keine Furcht vor der Hölle, keine Scheu vor den Menschen, kein Erbarmen, kein Mitleid, sondern Unverschämtheit, Ausgelassenheit und Verachtung alles Zukünftigen; die Strafgerichte Gottes sind ihnen Fabeln und seine Drohungen lächerlich. So ist die Seele der Geizigen beschaffen. Wo sollen wir sie nun hinsetzen, da sie innerlich Teufel und äusserlich schlimmer sind als wilde Thiere? Daß sie aber schlimmer sind als wilde Thiere, erhellet daraus: die Thiere sind Das von Natur aus; diese aber, die von Natur etwas Mildes haben, suchen sich gegen die Natur die Art der Raubthiere anzueignen. Ferner haben auch die Teufel die feindlich gesinnten Menschen zu Gehilfen, und wenn sie diese nicht hätten, so wären ihre Nachstellungen gegen uns großentheils fruchtlos; diese hingegen trachten auch ihre Mitkämpfer mit Schmach zu bedecken S. 158 und zu besiegen. Auch führt der Teufel Krieg mit dem Menschen und nicht mit Teufeln, die seines Gleichen sind; dieser sucht Freunde und Verwandte auf alle Weise zu mißhandeln, und ehrt nicht einmal die Bande der Natur.
Ich weiß, daß Viele ob dieser Reden gegen uns aufgebracht sind; ich aber bin ihnen darum nicht abhold, sondern ich beweine und beklage Solche. Und wenn sie mich auch schlagen sollten, so würde ich es gerne ertragen, falls sie nur jene thierische Rohbeit ablegten. Denn nicht wir allein, sondern auch der Prophet schließt Solche mit uns von aller menschlichen Verwandtschaft aus mit den Worten: „Der Mensch, da er in Ehre war, merkte nicht darauf, sondern wurde gleich den vernunftlosen Thieren.“1 Laßt uns daher doch einmal Menschen werden und zum Himmel aufblicken und wieder aufnehmen und uns aneignen unser Ebenbild,2 auf daß wir auch die zukünftigen Güter erlangen durch die Gnade und die Menschenfreundlichkeit unseres Herrn Jesus Christus, dem mit dem Vater und dem heiligen Geiste sei Ruhm, Herrschaft und Ehre jetzt und allezeit und von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.
