4. Kap. Wenn die Märtyrer etwa vor den Folter- und Todesqualen Schauder empfinden, so mögen sie bedenken, daß viele aus bloßem Ehrgeiz ebenso Schreckliches zu erdulden imstande waren.
S. 220Wir wissen aus einer Vorschrift des Herrn, daß das Fleisch schwach ist, der Geist aber willig. Wir wollen uns also nicht schmeicheln, weil der Herr ja auch die Ansicht teilt, daß das Fleisch schwach sei. Deshalb hat er zuvor den Geist willig genannt, um zu zeigen, was unterwürfig sei und wem es dies sein müsse, nämlich, daß das Fleisch dem Geiste, das Schwächere dem Stärkeren gehorche, damit es auch von ihm Stärke empfange. Es möge der Geist zum Fleische reden über ihrer beider Heil, so zwar, daß er schon nicht sowohl an die Leiden des Gefängnisses, sondern an den Wettkampf und die Schlacht denkt. Vielleicht wird das Fleisch das wuchtige Schwert fürchten, das hohe Kreuz, die wütigen wilden Tiere, sowie die schreckliche Strafe des Feuers und den in allen Martern so erfinderischen Henker; jedoch der Geist wird dem gegenüberstellen, daß diese Dinge zwar für ihn selbst und das Fleisch sehr herbe sind, aber dennoch schon von vielen mit Gleichmut über sich genommen, ja sogar der Ehre und des Ruhmes halber von freien Stücken begehrt wurden, und zwar nicht bloß von Männern, sondern auch von Weibern, so daß auch Ihr, gebenedeite Blutzeuginnen, Eurem Geschlechte entsprechet.
Es würde zu weit führen, die einzelnen alle zu nennen, die sich aus eigenem Antriebe mit dem Schwerte umbrachten. Von Weibern fällt mir sogleich Lukretia ein, welche, gewaltsam geschändet, sich angesichts ihrer Verwandten mit dem Messer erstach, um für ihre Keuschheit Ruhm zu erlangen. Mucius verbrannte seine rechte Hand auf dem Opferaltar, damit diese seine Tat berühmt würde. Etwas Geringeres war es, was die Philosophen taten: Heraklit, der sich den Leib mit Kuhmist bestrich und sich verbrannte, ebenso Empedokles, der in die Flammen des Berges Ätna hinabsprang, und Peregrinus, der vor nicht langer Zeit sich dem Scheiterhaufen überlieferte, da ja auch schon Frauen die Feuerflammen verachtet haben, nämlich Dido, als sie, nachdem sie einen ändern geliebt, zum Heiraten gezwungen wurde, und die Gattin des Hasdrubal, welche, als Karthago schon in Flammen stand, mit ihren Kindern in S. 221das Feuermeer ihrer brennenden Vaterstadt eilte, um nicht ihren Mann vor Scipio als einen um Gnade Flehenden sehen zu müssen, Regulus, der von den Karthagern gefangene römische Feldherr, wollte nicht, er als einzelner, gegen viele kriegsgefangene Karthager ausgetauscht werden, sondern zog es vor, sich den Feinden zurückgeben zu lassen, und erduldete, in eine Art Kasten gepreßt und von außen allseitig mit Nägeln durchbohrt, ebenso viele Kreuzesqualen. Was die wilden Tiere anlangt, so hat ein Weib sehr danach begehrt und noch nach schlimmeren als Stier und wilder Bär, nämlich Nattern, welche Kleopatra sich ansetzte, um nicht in die Hände ihres Feindes zu fallen. Indessen die Furcht vor dem Tode ist nicht so groß als die vor der Folter. Daher gab jene Buhlerin zu Athen ihrem Henker nach1. Sie wußte nämlich um die Verschwörung und wurde deswegen vom Tyrannen auf die Folter gebracht; sie verriet die Mitverschworenen aber nicht und spie zuletzt dem Tyrannen ihre abgebissene Zunge ins Gesicht, um die Gewißheit zu erlangen, daß die Folter gegen sie nichts ausrichten werde, auch wenn sie noch länger fortgesetzt würde. Daß noch heutzutage bei den Lacedämoniern die sog. Diamastigosis, d. h. die Geißelung, das höchste Fest bildet, ist nicht unbekannt. Bei dieser Feier werden die edelsten Jünglinge vor dem Altare mit Geißeln geschlagen, indes ihre Eltern und Verwandten dabei stehen und sie zum Ausharren ermahnen. Denn es würde für eine Zierde und Ehre, und zwar höherer Art gehalten werden, wenn eher das Leben den Geißelhieben weichen sollte als der Körper. Wenn mithin der irdische Ehrgeiz infolge der andauernden Kraft des Körpers und Geistes sich so viel zutrauen darf, daß er Schwert, Feuer, Kreuzigung, wilde Tiere und Folter verachtet um des Menschenlobes willen, so bin ich berechtigt zu sagen: „Gering sind die gegenwärtigen Leiden im Verhältnis zur Erlangung der himmlischen Herrlichkeit S. 222und des göttlichen Lohnes“. Ist eine gläserne Perle so viel wert als eine echte? Wer sollte also nicht mit der größten Freude für die echte ebenso viel bezahlen können als andere für eine unechte?
Die Buhlerin Lerena. Die Herausgeber glauben, hier Non oder Nec einschieben zu müssen. Oehler hält dies für unnötig; mir scheint, mit Recht. Andere erklären: sie gab den Kampf mit dem Henker auf. ↩
