3. Vollkommener freilich ist die Jungfräulichkeit.
Die Bemerkung über die Ungebundenheit in der älteren und die Beschränkung in der späteren Zeit will ich nicht etwa deshalb vorangestellt haben, um darauf den Schluss zu bauen, dass Christus zum Zweck der Trennung der Ehen und Auflösung der Verbindungen gekommen sei, als wenn ich schon daraufhin dem Heiraten ein Ende machen wollte. Mag es immerhin Leute geben, welche neben ihren sonstigen Verkehrtheiten auch noch Anleitung geben, das in zweien einheitliche Fleisch zu trennen, indem sie damit zugleich denjenigen leugnen, welcher das Weib aus dem Manne gebildet hat und dann die beiden Leiber, die aus der Verbindung eines und desselben Stoffes entnommen sind, wieder miteinander durch das Verbindungsmittel der Ehe vereinigte. Überhaupt lesen wir nirgends etwas von einem Verbote des Heiratens, da es ja etwas Gutes ist.
S. 64Indessen wir erfahren vom Apostel, was besser sei als dieses Gut. Er erlaubt zwar zu heiraten, gibt aber der Enthaltsamkeit den Vorzug: das eine wegen der uns nachstellenden Versuchungen, das andere wegen der Bedrängnis der Zeiten, Wenn man den Grund eines jeden dieser beiden Aussprüche betrachtet, so erkennt man mit Leichtigkeit, dass uns die Erlaubnis des Heiratens nur notgedrungen gewährt sei. Was aber die Not gewährt, das entwertet sie auch. Was endlich den Umstand angeht, dass geschrieben steht: „Heiraten ist besser als Brunst leiden„1, so frage ich, was ums Himmels willen kann das für ein Gut sein, das erst durch den Vergleich mit etwas Schlimmem seine Empfehlung erhält?! dadurch nämlich, dass es schlimmer ist, Brunst zu leiden. Um wieviel besser ist es dagegen, weder zu heiraten noch Brunst zu leiden! Bei Verfolgungen z. B. ist es infolge der gegebenen Erlaubnis auch besser, aus einer Stadt in die andere zu fliehen, als, ergriffen und gefoltert, das Christentum zu verleugnen. Glücklicher aber sind die, welche imstande sind, nach abgelegtem seligen Zeugnis und Bekenntnis von hinnen zu scheiden.
Man kann sagen: wofür man erst einer Erlaubnis bedarf, das ist nicht gut. Wieso denn?2 Für das, was erst erlaubt wird, gibt es immer eine Veranlassung zur Erteilung der Erlaubnis, welche verdächtig ist. Das Vorzüglichere aber braucht nicht erst von jemand erlaubt zu werden — weil es unbedenklich und wegen seiner Einfachheit an sich klar ist. Es ist nicht erlaubt, Dinge zu begehren deshalb, weil sie nicht verboten wurden. Und doch liegt gewissermaßen ein Verbot derselben darin, dass ihnen andere vorgezogen werden. Denn in dem den höhern Gütern erteilten Vorzuge liegt ein Abraten von den niedern. Nichts wird darum gut, weil es nicht schlecht ist, und es ist auch darum noch nicht S. 65schlecht, weil es unschädlich ist. Aber das im vollen Sinne des Wortes Gute hat vor jenem den Vorzug, dass es nicht nur nicht schädlich, sondern noch dazu nützlich ist. Denn jeder Wettstreit hat zum Zweck die Erlangung des ersten Platzes; wer der zweite wird, hat wohl einen Trost, aber keinen Sieg. Wollen wir dem Apostel Gehör geben, so lasst uns, der geringem Güter vergessend, zu den höhern die Hände ausstrecken und Nacheiferer nach bessern Gaben sein3. So legt er uns zwar keine Schlinge um, aber er zeigt uns, was das Nützliche sei, wenn er spricht: „Die Unverehelichte denkt an das, was des Herrn ist, dass sie an Leib und Seele heilig sei, die Verehelichte dagegen ist besorgt, wie sie ihrem Gatten gefalle“4. Im übrigen gestattet er überall die Ehe, nur in der Weise, dass er lieber sähe, wenn wir seinem Beispiele nachstrebten5. Glücklich, wer Paulus gliche!
