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Ohne Dornen war ehedem die Rose unter den Blumen der Erde emporgewachsen und ohne Falsch blühte der Blumen schönste; nachher umzäunte sie ihrer Blüte Anmut mit dem Dorn: ein Spiegelbild des S. 110 Menschenlebens, das die süße Lust seines Tuns und Treibens so oft durch der Sorgen nachbarliche Stacheln in stechenden Schmerz wandelt. Denn wie von einem Walle, wie von einem Zaune quälender Sorgen ist unseres Lebens holder Reiz eingeschlossen, so daß Lust und Trauer sich nahe berühren. Mag einer der köstlichen Gabe der Vernunft oder eines fortgesetzt glücklicheren Lebenslaufes sich freuen, soll er sich billig der Schuld erinnern, um derentwillen durch rechtskräftiges Strafurteil Dornen im Geiste und Stacheln im Herzen unser Teil wurden, nachdem wir zuvor in des Paradieses Wonne blühten. Magst du also im Ruhmesglanz des Adels strahlen, o Mensch, oder durch Hoheit der Macht oder durch Glanz der Tugend: stets steht dir der Dorn, stets der Stachel in nächster Nähe, stets denk an das Niedere in dir! Zwischen Dornen blühst du empor und nicht lange währt die Anmut: rasch entfliehen die Jahre und welkt einer in der Blüte dahin.
