7.
Den ersten Lerneifer entfacht die Würde des Lehrers. Was überträfe an Würde die Gottesmutter? Was an Glanz jene, die der Abglanz (des Vaters)1 erwählte? Was an Keuschheit jene, die ohne leibliche Berührung einen Leib gebar? Was soll ich denn von ihren sonstigen Tugenden sprechen? Jungfrau war sie nicht bloß dem Leibe, sondern auch dem Geiste nach: kein verhohlenes Buhlen, mit dem sie die Reinheit der Gesinnung verletzte. Von Herzen demütig, in Worten bedächtig, kluges Sinnes, im Gespräche mehr karg, um so eifriger in der Lesung. Nicht auf das Unzuverlässige des Reichtums, sondern auf das Gebet der Armen setzte sie ihre Hoffnung. Sie war bedacht auf die Arbeit, sittsam in der Rede, gewohnt, nicht einen Menschen, sondern Gott als Zeugen ihres geistigen Sinnens beizuziehen. Niemand beleidigte sie, meinte es allen gut, erhob sich vor älteren Personen, war gegen ihresgleichen nicht gehässig, mied eitles Prahlen, folgte der Vernunft, liebte die Tugend. Wann hätte sie auch nur mit einer Miene den Eltern wehe getan? Wann sich mit den Verwandten entzweit? Wann einen Bresthaften verlacht? Wann einen Dürftigen gemieden, gewohnt, nur solche Mannespersonen aufzusuchen, vor welchen die Barmherzigkeit nicht erröten, an welchen das Zartgefühl nicht vorübergehen brauchte? Nichts Scheeles lag in ihren Augen, nichts Freches in ihrem Benehmen. Die Haltung war nicht zu weichlich, der Gang nicht zu ausgelassen, die Rede nicht zu leichtfertig, so daß schon die äußere Erscheinung ein Abbild ihres Geistes, ein Sinnbild ihrer Tugendhaftigkeit war. Ein gutes Haus muß doch schon im Vorraum als solches sich erkennen, zum voraus beim ersten Betreten schon ersehen lassen, daß im Inneren keine Finsternis sich berge: so soll S. 348 auch unser Geist, ungehindert durch die hemmende Leibeshülle, wie ein Licht, das im Inneren auf den Leuchter gestellt ist2, seinen Schein nach außen werfen.
