Text.
Cölestinus, der Bischof, (sendet) dem Klerus und der Gemeinde in Constantinopel (seinen Gruß).
1. Die Freude der Mutter ist die Vereinigung der Kinder. Endlich genießt die Kirche die Freude, daß ihre Kinder, welche der Teufel zerstreut hatte, sich wieder so sammelten, daß von ihnen Niemand verloren gieng ausser dem verlorenen Sohne, weil ihn der Vater durchaus nicht als seinen Sohn erkannte. Denn indem er Den nachahmte, von dem er war,1 suchte er euch, den rechtmäßigen Kindern Gottes, das Erbe zu entreissen, die ihr, wie wir glauben, nach dem Worte des Apostels,2 um eueres Glaubens willen Erben Gottes und Miterben unseres Christus sein werdet. Es war ihm also nicht gegönnt, Jene zu besiegen, die vielmehr über ihn durch die Waffen des Glaubens triumphirten. Eueren Sieg, ja den Sieg des gemeinsamen Königs über den Feind verkündet der ausgeschlossene Tyrann; der siegte in euch, dessen Gottheit man unsicher machen zu können meinte. Die Geburt soll geschieden werden,3 ich möchte sagen jene Frage, welche ein Jeder, der den rechten Glauben hat, sich selbst in Einfalt lösen soll. Denn wer mag es wagen, Gott zum Gegenstand einer Untersuchung zu machen und zu ergründen, auf welche Weise er gekommen sei, (uns) zu helfen ? Es war Gott nicht schwer, das zu können, was er wollte, da er sich würdigte (uns) zu be- S. 512 freien, er, der es vermochte. Allein wie kam es, daß jener Sünder in seiner so großen Finsterniß das Licht nicht sah, wie kam es, daß irdische Spitzfindigkeiten die über ihnen befindliche Wahrheit erfaßten? Dieß können in ihrer Finsterniß Die nicht sehen, welche das Wort jener Leuchte nicht kennen, von dem der Prophet David4 bezeugt, daß es ein Licht seinen Pfaden sei. Mit eben diesem Psalmisten stimmt, wie wir oben sagten, die Mutter in ihrer Freude über die Rückkehr ihrer Kinder in ihren Schooß, welchen bis nun eine lächerliche und gotteslästerliche Zerstreuung beunruhigte, das Lied an:5 „Seht wie gut und wie angenehm es ist, wenn Brüder beisammen wohnen!„ Ganz passend also dürfte ich von ihm diese Worte entlehnt haben; denn für mich nehme ich zum größten Theile, mit Hilfe der verehrungswürdigen Dreifaltigkeit, die Ruhe der gesammten Kirche und den Hauptinhalt der gegenwärtigen Freuden in Anspruch, da mich bis jetzt Die brannten, welche geärgert wurden, und die Schwäche Einiger mich schwach machte.6
2. Euere Liebe erinnert sich, daß ich vor langer Zeit7 schon über die Geduld redete. Ich legte, wie ich es als Bischof mußte, den Samen in das christliche Herz, und die erwartete Saat täuschte mich nicht in euch. Denn was die Ernte euerer Geduld gebracht, beweist ihr durch die Früchte selbst. Aus Mißgunst gegen diese fährt der dem Untergange sich nähernde Landmann fort, das schon ersterbende Unkraut in die Seelen Einiger (zu pflanzen); er fährt fort, etwas ganz Anderes zu pflanzen, als er zum Säen erhalten oder gesäet vorgefunden hat. Wir haben ja den Samen unseres Glaubens, welchen entweder das Wort des Herrn selbst oder die Lehre der Apostel legte, welchen, so oft Dieß geschieht, nicht die Erde, welche ihn aufgenommen, verdirbt, sondern Anderes, was darüber ge- S. 513 gossen wurde. Euerem einfältigen Glauben wird die Ernte des Herrn Nichts zur Last legen können, welcher im Evangelium, darum befragt, den Urheber des Unkrautes angab. Jene sagten damals:8 Woher kommt das Unkraut beim guten Samen? Wir möchten sagen: Woher in einem so großen Reiche des Glaubens der Unglaube? Wir antworten euch aber mit den Worten Christi:9 „Das hat der Feind gethan.“ Wie tüchtig euch der Unterricht der früheren Lehrer10 machte, zeigte die Tapferkeit eueres Geistes. Ihnen verdankt ihr die Erkenntniß dieses Irrthums, deren Lobes sich Dieser11 unwürdig machte. Da er so herrliche Güter verachtete, trachtete er nicht zum Theile nach der Einfalt der Taube, sondern durchaus nach der Schlauheit der Schlange.12
3. Es ist auch nicht zu verwundern, daß Der, welcher sich anschickte, einfältige Seelen zu tödten, Jenem im Überreden nachfolgte, welcher der Erste durch Überreden tödtete. Wir lesen endlich, daß Jener durch Worte getäuscht habe, (auch) Dieser suchte nur durch Worte den Tod zu verursachen. Doch nicht ungestraft ahmte er seinen Urheber nach, da seinen Judas-Episcopat13 ein Anderer erhalten. Mit Recht trifft Beide dieselbe Strafe, weil, wie wir lesen, Beide eine Sünde begangen. Obwohl Beide vor unseren Augen sind, der Schmäher unseres Erlösers und der Verräther, so ist es dennoch schwer, zwischen dem Leugner14 der Geburt und dem Urheber des Todes zu unterscheiden. Judas nemlich reute es sogleich, nachdem er sich seiner That entledigt hatte, dem Tode des Verrathenen gieng die Todesstrafe des Verräthers voraus; Jener wählte, nachdem er seine Sünde bekannt hatte, alsbald den Strick; Dieser rühmt sich seiner Hartnäckigkeit in der Bosheit. Nicht S. 514 ich werde diesem Unglauben den Namen eines Irrthums geben; nicht Irrthum ist eine völlige Gottlosigkeit (zu nennen). So oft endlich der Teufel der Kirche oder ihrer Ruhe neidisch war, erhielt der in ihr entstandene Streit den Gegenstand des Streites selbst aufrecht. Wozu dient dieser Streit, an dem wir jetzt zu leiden hatten, nicht, daß Jemand durch die Religion siege, sondern damit die Religion selbst besiegt werde? Ihr erinnert euch doch, weil Dieß nothwendig ist, der Gotteslästerung.
4. Doch jetzt will ich den heiligen Seelen Vergesenheit solcher Übel auferlegt wissen. Aus dem Geiste soll verschwinden, der den Augen entrückt ist; verschwinden soll, sage ich, Der, welcher so der Vorläufer der Hölle genannt wurde. Der böse Lehrmeister bereitete viele Nachstellungen, spannte häufig seinen Bogen,15 wie wir lesen, und schleuderte aus seinem Munde vergiftete Pfeile; doch fand er unter euch Niemand, den er traf; die Geschoße kehrten stch gegen ihn um, da er im Finstern nicht beschießen konnte, die aufrichtigen Herzens sind,16 und dem Sohne der Finsterniß keine Gewalt zustand über die Söhne des Lichtes. Welche Sorge und Angst hatten wir damals um euch, als ihr euch in dem inneren Kriege befandet? Die Nächte verlebten wir wie Tage, da für solche Angelegenheiten jede Zeit zu kurz ist; wir ließen vor Unruhe keinen Schlaf über unsere Augen kommen. Denn wir wußten nicht, wen die Lust zum Schlafen hinreissen könnte, da der Räuber so wachsam ist. Welche Furcht in den Zäunen, welche Angst in den Gehöften, wie oft gehen ganz nahe am Eingang die hungrigen Wölfe einher, suchen nach Beute, wüthen auch gegen die Abwesenden und drohen mit Verderben? Welch' großes Lob verdient da nicht für ihre Wachsamkeit die Heerde, welche der Räuber nicht erreichte, obwohl er mit ihr im Gehöfte war! S. 515
5. Die Ursache dieses Schutzes ist offenbar; klar ist's, wer dem Feinde widerstanden. Erkennen und bekennen alle, daß euch jener Hirt beschützte, welcher sich im Evangelium17 den Hirten nennt; er stand euch bei und verließ euch nicht, der in euch litt. Gegen ihn nemlich spitzte sich die Zunge durch tägliche Gotteslästerungen, gegen ihn bewaffnete der gottlose Lehrer seine Zähne; doch trugen ihm seine Bisse, weil sie stets vergeblich waren, nur Spott ein, weil Stab und Stock desselben Hirten euch tröstete,18 welchem er seine Heerde zum Weiden übergab19 da er in den Himmel hinaufgehen sollte.
6. Diese Weide wurde bisher für euch nicht gewechselt, ihr wurdet (stets) mit demselben Futter genährt, immer speisten euch euere Lehrer mit apostolischer und gottseliger Rede. Allein schädlich war die statt gesunder Nahrung unterschobene Speise, da der Feind den hungrigen Seelen Disteln mit Blumen vermischt20 vorsetzte. Doch auch dieser Betrug täuschte euch nicht, die ihr ein süßer Geruch Christi im Herrn seid,21 nachdem euch der Geruch ganz anders erschien, als ihr gewohnt waret. Ihr verabscheutet das todbringende Kraut,22 umgabet euere Ohren mit Di-steln und konntet die nichtswürdige Zunge nicht anhören. Das kam also nicht in den Sinn, was schon das Gehör verletzte, und konnte den inneren (Menschen) nicht verletzen, was der äussere nicht aufnahm. Ihr habt ihn gemieden, dem ihr, soviel wir erfuhren, auch in's Angesicht widerstanden habt. Ihr habt ihn vermieden, nach dem Ausspruche des heiligen Apostels Paulus,23 da ihr wußtet, daß er schon von der heiligen und denkwürdigen alexandrinischen Kirche zurechtgewiesen worden war. S. 516
7. Denn ihr habt die Schriften des Bischofs d. i. katholischen Lehrers an ihn gelesen und im Gedächtniß, durch welche er ihn so zurechtzuweisen sich bemühte, daß er ihn bessern wollte; er suchte den sinkenden Amtsbruder zurückzurufen, er bot ihm die Rechte seines Lehramtes, weil er in dem Einen sehr Vielen beistehen wollte. Es erschütterte das Herz des alten Bischofes, weil ein Bischof (nur) fällt zum Untergange für Viele. Er vollführte, wie geschrieben steht,24 das gesegnete Werk des Herrn sorgfältig. An keiner von den dem Apostel (anbefohlenen) Pflichten ließ es der apostolische Mann fehlen, er beschwor, er ermahnte, er wies zurecht.25 Jener aber, da er von der Wucht seiner Gotteslästerungen in die Tiefe gezogen wurde, verschmähte die Lehre eines so großen Mannes, mißbrauchte seine Ermahnung und wollte nicht lernen, obschon er ein Lehrer nicht sein konnte. Der Vertheidiger des Bösen überhäufte Den, der am Rechten festhielt, mit Unbilden. Er rühmt sich Dessen; auch betrübte sich der Bruder nicht, da er bedachte, daß Der seines Mitknechtes nicht schonen könne, der seinen Herrn herabsetzte Er wurde wegen seines Eifers als ein fruchtbringender Sohn 26 und vorsichtiger Knecht27 befunden nach dem Evangelium; denn er bewahrte sowohl das väterliche Vermögen wie er auch die Zahl der Talente vermehrte; doch ich möchte sagen, daß er das Vermögen nicht verdoppelte, sondern vervielfältigte, da er ja, wie wir sehen, auch weit Entfernten mit dem (ihm anvertrauten) Unterpfand der Gottseligkeit28 zu Hilfe kam. O Wucher der heiligen Predigt! Welches Wohlgefallen wird dieser Geschäftsmann des Glaubens vor dem gemeinsamen Herrn finden, welcher, um Seelen zu gewinnen, auch dort S. 517 Geschäft betrieb, wo es ein Anderer erhalten hatte. Wird er nicht mit Recht vom Hausvater hören:29 „Wohlan du guter und getreuer Knecht, geh' ein in die Freude des Herrn„? Das gebührt ihm, der auch Das bewahrte, was Anderen anvertraut war.
8. Was wird Jener hören oder sagen, wenn von ihm über das ihm Anvertraute wird Rechenschaft gefordert werden, der selbst dann schuldig ist, wenn ihr durch Andere zu Grunde gegangen seid, mag auch er selbst gerettet sein? Ihr wisset es ja aus euerem Unterrichte, welche Strafe den nachlässigen Bischöfen bevorsteht, da ihnen ja der Apostel30 vorschreibt, daß sie auch ihren Häusern mit Sorgfalt vorstehen sollen. Auch der Priester Heli31 zog sich, obwohl für seine Person ohne Schuld, durch seine Söhne eine Beleidigung Gottes zu. Der Hohepriester fehlte als Vater, es gereichte ihm seine Gewalt und Liebe zum Falle.32 Wenn demnach Jener, weil er die Vermessenheit seiner Söhne nicht im Zaume hält, sündigt, um wie viel mehr beleidigt Dieser den Herrn, da er ihn selbst nicht schont! Ich möchte ihn auch nicht träge, nicht nachlässig nennen. Ihr hattet (an ihm) einen Mann von unaufhörlicher Redseligkeit und (ich sage es zu euch, die ihr es erfahren habt) einen wachsamen Verderber.
9. Doch der heilige Apostel Petrus verließ die so schwer Heimgesuchten nicht. Denn da die Allen erschreckliche Fäulniß es nahe legte, ein solches Geschwür aus dem Körper der Kirche auszuscheiden, brachten wir mit dem Eisen auch die Heilung. Er aber mißbrauchte unsere Bemühungen, durch welche wir Den nachahmen, welcher auch von den Kleinen keines zu Grunde gehen lassen will, und wählte S. 518 sich den erwünschten Tod. Als er endlich auch die Arznei zurückwies, wollte er losgetrennt werden; er zog sich selbst darin wenigstens eines Sinnes mit uns, den apostolischen 33 Urtheilsspruch zu, daß abgeschnitten werde, der uns betrübte und das Evangelium Christi verkehren wollte. Wir ließen, wie gesagt, an dem an seinem Fehler daniederliegenden Arzte kein Mittel unversucht. Es ist nicht etwa ein übereilter Spruch von unserer Seite Ursache, daß er uns als ein öffentlicher Sünder oder Heide gilt.34 Wir wissen, wie und wie oft Solche, die darauf hinzielen, zu ermahnen uns die hl. Schrift35 befiehlt; wir sehen, wie Dieß auch jetzt erfüllt wurde. Doch müsten wir es nochmals sagen. Der Bruder ermahnte hierauf den Bruder, alsdann wurde er, weil er hartnäckig war, das erste und das zweite Mal, ja von vielen Zeugen ermahnt, in der Folge von der ganzen Kirche und auch durch unser Wort zurechtgewiesen. Nichts thaten wir hier voreilig, Nichts unüberlegt, da ihn eine langwierige ordnungsgemäß geführte Verhandlung verurtheilte. Wir konnten nicht länger zögern, damit wir nicht, wie geschrieben36 steht, mit dem Diebe zu laufen und es mit dem Glaubensschänder zu halten scheinen, besonders da es befohlen ist, das Auge auszureissen, wenn es uns ärgert.37 Auf diese ihm so oft zu seinem Vortheile angebotenen Heilmittel fordert er ein Feld zum Kampfe, verlangt er eine bischöfliche Untersuchung, der er nicht beiwohnen will; er schreitet zum Kampfe als Anführer, nachdem er sich als Feind erklärt und als Lehrer des Glaubens die Waffen des Unglaubens gegen den Glauben ergreift; er scheint nicht so sehr sich entfernt zu haben als vertrieben worden zu sein.
10. Ich frage nicht, welche Gebete ihr damals zu unserem Herrn verrichtet habt, da der Ausgang es lehrt, was ihr wünschen konntet. Auch dürft ihr nicht glauben, daß uns S. 519 die Ereignisse unbekannt seien, da sie uns der Bericht unseres heiligen Bruders Cyrillus offenbarte. Er ermahnte den Menschen, welchen nun die der Sitte gemäße Erinnerung unentschuldbar machte; er verschmähte es zu erscheinen. Wer sollte es glauben, daß Der, welcher die Synode verlangte, von derselben sich fernhalten werde? Dort wurde die Leichtigkeit der Falschheit durch das Gewicht der Wahrheit erdrückt und wagte es die Dunkelheit des schleichenden Glaubenslosen nicht, sich mit dem Glanze der leuchtenden Bischöfe zu vermischen. Die Finsterniß floh vor dem Lichte, weil, wie wir lesen,38 diese keine Gemeinschaft mit einander haben können. Als einander entgegengesetzt stoßen sie sich gegenseitig ab. Wo ist er, da ihm gesagt 39 wurde, daß er im Lichte reden solle und auf den Dächern predigen, was er in den Ohren hörte? Allein deßhalb wollte er gegenwärtig verborgen bleiben, damit die Scham dem nach dem Urtheile seines Gewissens zu fällenden Ausspruche zuvorkomme. Warum wollte er sein Licht unter dem Scheffel haben,40 wenn er meinte, daß es gut brenne? Es sollte der ganzen heiligen Versammlung leuchten, damit es sich beim Lichte Aller zeige, daß er ein Licht habe. Der göttliche Ausspruch trügt nicht, daß Die, welche in der Finsterniß sind, das Licht nicht sehen können. Er blieb verborgen, so daß er durch Vermeidung des bischöflichen Collegiums gewissermaßen selbst auf seine Würde Verzicht leistete. So verbarg sich der erste Mensch Adam im Bewußtsein seiner Sünde nackt vor dem Angesichte des Herrn,41 und obwohl er nicht gegen ihn, sondern gegen seine Gebote gesündigt hatte, erschrack er über die Stimme, welche er verachtet hatte und betrogen gerieth er in Furcht, nachdem er das Vertrauen der Einfalt durch die Sünde der Übertretung verloren hatte. Das Bekenntniß des Verbergens läßt über das Verbrechen keinen Zweifel, Niemand verbirgt sich in wichtigen Ange- S. 520 legenheiten aus Unschuld. Da er also das Beispiel jenes Urhebers unseres Todes, nachdem er das Gewand der Ehre und des Ruhmes verloren hatte, nachahmte, so durfte wohl mit Recht Dieß mit dem ersten Menschen Adam Der gethan haben, welcher die Gottheit des neuen Adam so leugnete. Nicht die Qual, vor den Augen so vieler Bischöfe zu erscheinen (war die Ursache seines Fernbleibens), nicht das aus fast allen Theilen der Welt versammelte Concil; er blieb fern von Denen, mit denen zu sein er nicht verstand.
11. Was nützte es ihm, dieß gemieden zu haben? Er wollte Denen entfliehen, vor denen ein Entkommen nicht möglich war. Wie ist es möglich zu entschlüpfen, wenn Der verfolgt, vor dem sich Niemand verbergen kann? Oder dürfte er, weil er solche Genossen hatte und meinte, ohne Sünde zu sein, leugnen, was der Prophet42 rief: „Wo soll ich hingehen vor deinem Angesichte und wohin fliehen vor deinem Geiste? Stieg' ich gegen Himmel, so bist du dort; stieg' ich zur Hölle hinab, du bist zugegen“? Jener verkündet es laut, daß er für seine Sünden kein Versteck habe und sich vor Gott nicht verbergen könne. Denn Jener bekennt Den als allgegenwärtig, von welchem Dieser zu behaupten wagt, daß er bei der Empfängniß im Leibe gefehlt habe.
12. Endlich beschloß der heilige Geist, welcher wie immer in seinen Bischöfen lebte, Einer in Allen, Allen beizustehen. Nichts von der Fäulniß, Nichts von der sich bildenden Wunde nahm es 43 auf, weil sorgfältig weggeschnitten ist, was die Hand eines solchen Geistes abgeschnitten. „Wirf„, sagt Salomon,44 „den Streitsüchtigen aus der Versammlung hinaus, und die Zwietracht wird mit ihm weichen.“ Mit sich entfernte er das Ärgerniß, das er hereingebracht hatte, weil er Das zurückgelassen, was er bei euch S. 521 gefunden hatte.45 Es konnte nach dem Worte des Herrn46 die Pflanzung nicht ausgerottet werden, welche der Vater gepflanzt hatte, und die reichliche Frucht, wie es sich erwies, in ihm brachte. Der Herr Israels bewahrte seinen Weinberg47 (sein Haus ist der Weinberg des Herrn), und deßhalb darf man sich nicht wundern, wenn sein Haus dem Diebe entkam, dessen Wächter, wie wir lesen, nicht schläft und nicht schlummert.48
13. Was wird der verstockte Sünder thun? Welche Hoffnung, welche Hilfe bleibt ihm? Der hat keinen Anspruch auf Verzeihung, von dem geschrieben steht, 49 daß ihm weder hier noch im zukünftigen Leben verziehen werden könne. Jener Stolze wird gebeugt, hingegen bringt christliche Demuth Erhöhung, weil Der selbst ihn erhöht, welcher über ihm ruht. Seine Worte sind es durch den Propheten:50 „Es wohnt nicht in meinem Hause, der hochmütig handelt,„ der auch durch den Apostel51 verspricht, daß er die thörichte Weisheit der Welt vernichten werde. Er mag nun von uns hören, was Paulus damals, als er predigte, hörte:52 „Durch das viele Studiren kam er zum Wahnsinn.“ Doch es sei ferne, Jenen mit Diesem zu vergleichen. Denn was von dem Lehrmeister gesagt wurde, ist der Üngelehrte unwürdig zu hören. Warum überdieß wollen wir gegen das Gefäß der Verwerfung das Gefäß der Auserwählung aufführen, da zu seiner Beschämung Der genügt, welchen, als er nach so vielen Schandthaten mit Christus am Kreuze hieng, die Gnade der Todesstrafe dazu brachte, den Herrn zu bekennen? 53 Er bittet, seiner im Reiche zu gedenken; durch diese kurze Rede sühnte er Alles, was er begangen, indem er den lange Zeit fortgesetzten Verbrechen durch einen S. 522 Augenblick abhalf; es bleibt auch seinem Bekenntnisse der Lohn nicht aus; sogleich folgt die Belohnung und Erwiderung. Der, welcher gerne den sich Bekehrenden zu jeder Stunde aufnimmt, antwortete:54 „Du wirst mit mir im Paradiese sein.„ Dem verspricht er für die Zukunft seine Gesellschaft, welcher mit ihm in der Gegenwart litt. Im Herzen ward ihm der Glaube zur Gerechtigkeit, mit dem Munde das Bekenntniß zur Seligkeit.55 Bei einem solchen Gegensatze müssen wir ausrufen und weinen: Es ist unerhört, daß ein Bischof verloren, was ein Räuber finden konnte. O Lohn des Glaubens und des Unglaubens! O unergründliche Gerichte Gottes ! Der Räuber verdiente das Paradies, der Bischof das Exil. Doch wir haben hiefür eine warnende Erklärung. Jener erkannte ihn, weil er in Qualen sich befand, Dieser wußte Nichts von ihm, weil er in Ehren stand.
14. Gilt hier nicht:56 „Der Mensch, da er in Ehren ist, begreift es nicht, er gleicht den unvernünftigen Thieren? Was ist Verständniß und Urtheil anders, als zu kennen Weisheit und Lehre und zu fassen die Worte der Klugheit?57 Das ist die wahre Weisheit, welche nach dem Worte Salomon's 58 von der Furcht des Herrn ihren Anfang nimmt, von welcher der Apostel behauptet,59 daß er sie unter den Vollkommenen rede, bezüglich deren es nicht so arg ist, daß die Welt sie damals nicht erkannte, als daß ein Bischof sie jetzt nicht kannte. Hier möchte ich die Worte des Herrn bei Jeremias60 anwenden: „Die Pfleger meines Gesetzes kannten mich nicht, und den Propheten, welche Ungerechtigkeit verkündigten, klatschten die Priester mit den Händen zu,“ und anderswo bei demselben: „Meine Priester opferten mir zum Scheine.“ S. 523
15. Er bediente sich jedoch des Schutzes und Lobes der Heiden, welche bezeugten, daß es nie einen solchen Bischof gegeben. Das sagten sie mit Wahrheit und Recht. Denn wann konnte man einen Bischof finden, der es nicht verstand, ein Christ zu sein? Deßhalb jedoch wurde es ihm gebilligt, (uns) Feind zu sein,61 weil Verräther nie den Feinden mißfallen.
16. Wir hörten, welche Tröstungen diesem Gesetzesverletzer und Sünder zu Theil wurden. Unter Anderen standen ihm bei und verließen ihn nicht die Cälestianer, jene Übelthäter, welche der deutliche Ausspruch des Sängers 62 begleitet: denn schon werden die Feinde Gottes zerstreut und gehen zu Grund, die Unrechtes thun und, wie derselbe sagt,63 das Volk des Herrn wie Brod verzehrten. Er hatte also die Lehrmeister seines Exils als Gefährten, es hatte der Lehrling hierin vollkommene unterrichtete Lehrer. Schwer lassen sich ja trennen, welche allein das Verbrechen vereinigt, weil das Bündniß der Laster durch stärkere Bande sich knüpft. Doch was ist ihr Ende? Folgendes, wie wir lesen:64 „Der Herr machte ihn zu nichte, und hernach werden sie einen schimpflichen Fall thun und in ewiger Schmach unter den Todten sein.“ Doch wozu halten wir uns noch länger auf? Die allzu weitläufige Rede erzeugt vielleicht schon Überdruß; lassen wir die Todten ihre Todten begraben.65
17. Höret nun und erfasset die Worte des einfältigen Lehrers, 66 höret von ihm, was er von unseren Vorfahren, da er bei uns weilte, häufig hörte; höret wenigstens immer Gehörtes und nicht aus Neuerungssucht Erfundenes. Mit S. 524 unserem Munde spricht unser Amtsgenosse zu euch, weil der eine Glaube in einer Verbindung verkündigt werden muß. Es bedarf Dieser für seine Person kein Zeugniß eines Andern: von uns ist er gegeben, indem er aus den Unsrigen erwählt wurde. Er ist nicht unbekannt, nicht anderswoher herbeigebracht; ihr hattet Einen, der als Gegenwärtiger alles Lob verdiente. Das Gerücht täuschte längst Abwesende. Mehr über ihn zu reden hüte ich mich, weil es überflüssige Mühe ist, Bekanntes zu loben. Nun aber ziemt es auch euch, auf der Hut zu sein, die ihr durch unsere eigenen Worte ermahnt worden seid.
18. Niemand unter euch möge jenes Fundament erschüttern, welches der feste Felsen und jener Eckstein aufrichtete. Erbauet darüber, was ihr als Katholiken gewöhnt seid. Ihr habt gelernt,67 was es sei, Etwas aufzubauen, was brennt; durch diesen Schaden wird das aufgewogen werden, wenn die Werke der Einzelnen das prüfende Feuer zu erproben beginnen wird. Ich freue mich, daß ihr auf dieses Fundament nicht Stroh, nicht Holz, nicht Heu, sondern jene Reichthümer aufgehäuft, welche die Gebote der weisen Baumeister aufzulegen befahlen. Ihr werdet gut hausen, weil ihr so sorgfältig arbeitet. Eine große Wohnung versprechen solche Auslagen; aus Gold, Silber und kostbaren Steinen erbaut ihr euch ein unschätzbares Haus. Nach keinem Werth läßt sich Ewiges abschätzen, weil durch keine Unbilde, kein Alter zerstört wird, was der Herr schon vom Anbeginne der Welt den Gerechten vorbereitet hat. „Gestärkt sollen werden,„ wie der Prophet68 mahnt, „die ermüdeten Hände der Gläubigen, gekräftigt die Kniee, erstarken die Kleinmüthigen.“ Unser Erlöser erschien; Gott bewies der Falschheit, was es sei, die Wahrheit zu schlagen und zu bekämpfen, nachdem ihm darüber der Streit gemacht wurde, woher er uns zu Hilfe kam. Daher, theuerste Brü- S. 525 der, harret aus bei Dem, der ist, damit ihr in euch sieget. Seid vollkommen in demselben Sinne und in derselben Meinung, damit ihr nicht von dem Menschensohne, wenn er in seiner Majestät kommen wird, höret:69 „Weichet von mir, ihr Verfluchten!„ sondern hören könnet: „Kommt, ihr Gesegneten.“ Den Böcken bleibe die Verwerfung für die Zukunft. Ihr aber sollt so befunden werden, daß, während die in das Feuer Verstoßenen zur Linken stehen, er euch zur Rechten in sein Reich einladet. Ihr dürft nicht warten, daß es euch bereitet wird, da es euch schon längst erwartet, damit ihr (dort) herrschet. Tretet nun schnell in die enge Pforte ein, welche Die aufnimmt, die sich nie auf der breiten Straße finden ließen.
19. Diese an euere Liebe zur Freude der Katholiken gerichteten Worte mögen genügen; leset sie öfter, so wollen wir es, damit ihr, wenn ihr euch über den Triumph des Glaubens erfreuet, einsehet, daß der Gott der Liebe und des Friedens mit euch sei. Gegeben am 15. März unter dem Consulate der erlauchtesten Männer Flavius Aetius und Valerius.70
Joh. 8, 44. ↩
Röm. 8, 17. ↩
D. h. die Geburt des Herrn (aus Maria nemlich) soll unsern Glauben an seine Gottheit nicht stören und beirren; die Frage, wie Beides zu vereinigen sei, Iöst der einältige Gläubige sich sehr leicht, wie es im Folgenden angedeutet wird. ↩
Ps. 118, 105. ↩
Ps. 132, 1. ↩
II. Cor. 11, 29. ↩
S. oben S. 446 n. 5 FF. im 14. Briefe. ↩
Matth. 13, 24—27. ↩
Ebend. V. 28. ↩
Des Johannes Chrysost., Atticus und Sisinnius. ↩
Nestorius. ↩
Matth. 10, 16. ↩
Apostelg. 1, 20. ↩
Discussor ↩
Ps. 10, 3. ↩
Ebend. ↩
Joh. 10, 11. ↩
Ps. 22, 4. ↩
Joh. 21, 15. ↩
D. h. Nestorius mischte den lockenden Blumen seiner Beredsamkeit die verwundenden Disteln der Irrlehre bei. ↩
II. Cor. 2, 15. ↩
Sir. 28, 28. ↩
Tit. 3, 10. ↩
Im Gegensatz zu Jerem. 48. 10: „Verflucht sei, wer das Werk Gottes nachlässig verrichtet. ↩
II. Tim. 4, 2. ↩
Im Gegensatz zum verschwenderischen Sohn bei Luc. 15, 11 ff. ↩
Matth. 25, 14 ff. ↩
Piofoenore. ↩
Matth. 25, 22 u. 23. ↩
I. Tim. 2, 4. ↩
I. Kön. 2 ff. ↩
Von welch‘ beiden er seinen Söhnen gegenüber nicht den rechten Gebrauch machte. ↩
Gal. 5, 12. ↩
Matth. 18, 17. ↩
Matth. 18, 15. ↩
Ps. 49, 20. ↩
Matth. 5, 29. ↩
II. Cor. 6, 14. ↩
Matth. 10, 27. ↩
Matth. 5, 15. ↩
Gen. 3, 8. ↩
Ps. 137, 7 u. 8. ↩
Das Concil nemlich. ↩
Sprüchw. 22, 10. ↩
D. i. die katholische Lehre. ↩
Matth. 15, 13 ↩
Isai. 5, 7. ↩
Ps. 120, 4. ↩
Matth. 12, 32. ↩
Ps. 100, 7. ↩
I. Cor. 1, 19. ↩
Apostelg. 26, 24. ↩
Luk. 23, 42. ↩
Luc. 23, 43. ↩
Röm. 10, 10. ↩
Ps. 488, 13. ↩
Sprrüchw. 1, 3. ↩
Ebend. 1, 7. ↩
I. Cor. 2, 6. ↩
2, 8 ; 5, 31, aber nur dem Sinne nach. ↩
So übersetzte ich mit Beibehaltung des Textes: Ideo tamen inimicus esse probatus est; Coustant möchte dafür setzen: inimicis iste probatus est; der Sinn bleibt in der Hauptsache derselbe. ↩
Ps. 91, 10. ↩
Ps. 13, 4. ↩
Weish. 4, 19. ↩
Matth. 8, 22. ↩
Maximinianus. ↩
I. Cor. 3, 11 ff. ↩
Is. 35, 3. ↩
Matth. 24, 34 u. 41. ↩
D. i. 432. ↩
