26. Brief des Augustinus, Bischofs von Hippo, an Cölestinus, als Diakon.1
Ein Freundschaftsbrief.
Dem ehrwürdigen und überaus geliebten Herrn, S. 526 dem heiligen Bruder und Mitdiakon Cölestinus, (sendet) Augustinus Gruß im Herrn. 1. Obwohl ich weit entfernt gewesen, als durch den Kleriker Projektus das an mich nach Hippo gerichtete Schreiben deiner Heiligkeit kam, wartete ich dennoch, nachdem ich gekommen und nach dessen Lesung mich als zur Antwort verpflichtet erkannte, eine günstige Zeit der Erwiderung ab; und siehe da plötzlich trifft sich mir die sehr angenehme Gelegenheit der Abreise unseres theuersten Bruders, des Akolythen Albinus 2 von uns. Indem ich mich also über dein mir sehr erwünschtes Wohlsein erfreue, statte ich deiner Heiligkeit den geziemenden Gruß ab. Immer aber schulde ich Liebe, die allein, wenn sie auch erwidert ist, immer den Schuldner verpflichtet. Denn sie wird erwidert, wenn sie geschenkt wird, bleibt aber Schuld, auch wenn sie erwidert ist, weil es keine Zeit giebt, wo sie nicht zu schenken wäre. Auch geht sie, wenn sie erwidert wird, nicht verloren, sondern vervielfältigt sich vielmehr hiedurch; denn dadurch, daß man sie hat, erwidert man sie, nicht durch ihren Mangel. Und da sie nicht erwidert werden kann, wenn man sie nicht besitzt, kann man sie auch nicht besitzen, wenn man sie nicht erwidert; sogar auch, indem sie vom Menschen erwidert wird, wächst sie im Menschen, und wird immer größer, je Mehreren sie erwidert wird. Wie aber könnte man den Freunden versagen, was man auch den Feinden schuldig ist? Doch den Feinden wird sie mit Vorsicht geschenkt, den Freunden aber in Sorglosigkeit. Dennoch sucht sie, so viel sie kann, auch von Denen, welchen sie Gutes für Böses vergilt, Das zu empfangen, was sie giebt. Wir wünschen ja, daß Der unser Freund werde, welchen wir S. 527 Feind in Wahrheit lieben; denn wir lieben ihn nicht, wenn wir nicht wollen, daß er gut sei; das aber wird er gewiß nicht sein, wenn er nicht das Übel der Feindschaft verloren hat.
2. Nicht also schenkt man Liebe auf dieselbe Weise wie Geld. Denn nebstdem, daß durch Schenken dieses vermindert, jene vermehrt wird, unterscheiden sie sich auch dadurch, daß wir gegen Den, welchem wir Geld gegeben, dann ein größeres Wohlwollen hegen, wenn wir es nicht zurückzuerhalten verlangen, hingegen Jener keine wahre Liebe schenken kann, wenn er sie nicht (auch) freundlich eintreibt. Denn während das Geld, wenn es empfangen wird, Dem zuwächst, welchem es gegeben wird, aber von Dem sich entfernt, von welchem es gegeben wird, wächst dagegen die Liebe nicht nur bei Jenem, welcher sie von Dem fordert, den er liebt, wenn er sie auch nicht empfängt, sondern auch Der, von welchem er sie empfieng, fängt sie dann an zu besitzen, wenn er sie erwidert. Demnach, Herr Bruder, erwidere ich dir gerne unsere wechselseitige Liebe und nehme sie mit Freuden entgegen. Die, welche ich empfangen, erneuere ich abermals; die, welche ich erwidere, schulde ich noch. Denn wir müssen den einen Meister, bei welchem wir Mitschüler sind, gelehrig anhören, wenn er durch seinen Apostel vorschreibt und sagt:3 „Bleibt Niemand Etwas schuldig, als daß ihr einander liebet!" S. 528
S. Aug. Op. ed. Maur. t. II. p. 710, ep. 192. Geschrieben wurde dieser Brief nach dem 20. September 418, als der hl. Augustinus nach Beendigung der in Mauritania Cäsariensis ihm übertragenen Commission zurückgekehrt war, s. den 193. Brief des hl. Augustinus an Marius Mercator und oben S. 305 Num. 4 unter den verlorengegangenen Schreiben des P. Zosimus. ↩
Albinus war Akolyth der römischen Kirche und nahm nicht nur dieses Schreiben mit, sondern auch eines an Sixtus, damals noch Priester, späteren Papst Sixtus III. und ein drittes an Marius Mercator. ↩
Röm. 13, 8. ↩
