Text
1. Oft schrieb ich deiner Heiligkeit wegen Julianus Orontius und der Übrigen, welche sich die bischöfliche Würde anmaßen und sich sowohl sehr häufig an den gottseligsten und hochgepriesenen Kaiser um Hilfe wenden als auch uns mit beständigen Klagen heimsuchen, daß sie in rechtgläubigen Zeiten aus dem Abendlande ausgewiesen wurden. Bisher aber erhielten wir von deiner Heiligkeit keine Schreiben über Diese; hätte ich solche, so könnte ich ihnen erwidern und sie mit ihrem Jammern kurz abfertigen. Nun aber weiß man bei ihren unsicheren Behauptungen nicht, an was man sich halten soll, da Andere sie Häretiker nennen und behaupten, sie seien deßhalb aus dem Abendlande ausgewiesen worden, sie selbst aber schwören, daß man sie verleumdet und wegen des orthodoxen Glaubens fälschlich verfolgt habe. Was von Beidem gewiß sei, darüber sind wir in drückender Unwissenheit. 1 Denn Mitleid mit ihnen haben, wenn sie wirklich Häretiker sind, ist Verbrechen; hingegen ihnen dasselbe vorenthalten, wenn sie verleumdet sind, ist hart und gottlos. Deine Gott so sehr liebende Seele möge gütigst uns belehren, die wir bis jetzt zwischen Beidem getheilt sind, nemlich zwischen Haß und Mitleid gegen sie. Wir wünschen aber eine Aufklärung, welche Meinung über sie wir festhalten sollen. Denn wir halten jene Männer von einem Tage zum andern hin und vertrösten sie mit der Hoffnung auf ein baldiges Schreiben deiner Heiligkeit. Denn, wie du Verehrungswürdigster weißt, die Untersuchung einer frommen Lehre ist keine geringfügige Sache, und die, welche es thun, haben keine geringe Mühe. S. 406
2. Denn große Mühe wird auch uns hier verursacht, die wir die so häßliche Gottlosigkeit der so verderblichen Lehre des Apollinaris und Arius aus der Kirche Gottes auszutilgen suchen. Einige Geistliche nemlich, welche sich ich weiß nicht was für eine Vorstellung von der Vermischung der Gottheit und Menschheit des Eingeborenen machen, leiden an der Krankheit der Vorgenannten, da sie sowohl die Leiden des Körpers auf die Gottheit des Eingeborenen zu übertragen wagen als auch vorgeben, die Unveränderlichkeit der Gottheit sei auf die Natur des Körpers übergegangen, und die beiden Naturen, welche durch die höchste und unvermischte Vereinigung in der einen Person des Eingebornen angebetet werden, durch die Wandelbarkeit einer Verschmelzung vermischen.2 Die Blinden, welche nicht einmal der Erklärung jener heiligen Väter gedenken, die ihnen doch deutlich zurufen: „Wir glauben an einen Herrn Jesus Christus, den Sohn Gottes, der Mensch geworden aus dem heiligen Geiste und Maria der Jungfrau !" Denn dieses Wort, Christus nemlich, insoferne dieser Name beide Naturen bezeichnet, ist mit der Gottheit des Vaters Wesensgleich;3 die Menschheit aber ist später aus der heiligen S. 407 Jungfrau geboren und wird wegen ihrer Vereinigung mit der Gottheit von den Engeln und Menschen zugleich4 verehrt.
3. Den also, der hier (ohnehin) durch die Schlechtigkeit der Secten mit so vielen Arbeiten geplagt ist, habe ich im Auge,5 was er wieder leiden muß, wenn er in Unkenntniß über die Sache der vorgenannten Männer bleibt und fürchten muß, daß er aus Unwissenheit etwa Häretikern Vorschub leistet. Deßhalb bitte ich, daß deine Seele sich alle Mühe gebe, mir über die obengenannten Manner Mittheilung zu machen, besonders da der allzeit getreue Cubicularius Valerius, der Überbringer des Schreibens, deiner Heiligkeit persönlich über ihre Belästigungen Aufschlüsse geben kann. An alle deine Brüder in Christus viele Grüße von mir und meinen Brüdern.
Das war entschieden eine erheuchelte Unwissenheit, weil Marius Mercator nicht bloß behauptet, sondern auch nachgewiesen hatte, daß Jene als Häretiker verurtheilt wurden, und Dieß nach dessen Zeugnisse der Kirche von Constantinopel auch aus der ihr übersandten Tractoria des P. Zosimus bekannt sein mußte. ↩
Der von Nestorius seinen Gegnern hier gemachte Vorwurf, daß sie die göttliche und menschliche Natur in Christus vermischen, war nach den ebenso klaren wie wahren Erklärungen, welche Cyrillus hierüber in den Briefen des Nestorius abgab, ganz un-gerechtfertigt; sagte Jener doch unter anderem: „Das Wort war Ieidensunfähig in dem leidensfähigen Körper. Andererseits würde man sehr irren, wenn man glaubte, Nestorius bekenne hier die Lehre der katholischen Kirche von der einen göttlichen Person Christi, da er ebenso leugnete, Gott habe gelitten und sei gestorben, als er leugnete, Gott sei geboren aus Maria; über solche scheinbare orthodoxe Aussprüche des Nestorius drückt schon Vincentius von Lerin (c. 17) seine Bedenken aus. ↩
Diese unklare und corrumpirte Stelle: „Haec enim vox, in nomine quod significat utramque naturam, id est Christus, est Deitati Patris homousios“ liest Garnier so: „Vox, in Dominum, significat utramqu naturam; etenim Christus est Deitati etc.; Baluzius aber verwirft mit Recht diese Auffassung, da das Wort Dominus gewiß nur die göttliche Natur anzeigt. Richtiger, dem Sinne des Nestorius entsprechender ist Coustant’s Auffassung: Haec enim vox i. e. Christus, quatenus hoc nomen utramque naturam significat est Deitati Patris homousios. Denn Nestorius sagt sehr häufig, daß der Name Christus beide Naturen anzeige. ↩
Mit der göttlichen Natur. ↩
Damit meint er sich selbst. ↩
