VIII. Kapitel: Von dem vergifteten Brote, das ein Rabe davontrug
Gregorius. Schon glühte jene Gegend weit und breit der Liebe zu unserm Herrn Jesus Christus entgegen, schon verließen viele das Leben in der Welt und beugten das stolze Herz unter das leichte Joch des Erlösers - aber böse Menschen beneiden immer andere um das Gut der Tugend, nach dem sie doch selbst nicht streben. So begann Florentius, der Presbyter einer nahe gelegenen Kirche, der Großvater unseres Subdiakons Florentius, auf Antrieb des schlimmen Urfeindes eifersüchtig auf die Bestrebungen des heiligen Mannes zu werden, an seinem heiligen Wandel allerlei auszusetzen S. 65 und die Leute, wenn er irgendwie konnte, von einem Besuch bei ihm abzuhalten. Da er aber sah, daß er der Entwicklung der Dinge bei Benedikt nicht Einhalt gebieten konnte, daß der Ruf von seinem heiligen Wandel sich vielmehr immer weiter ausbreitete und dieser Ruf wie ein Herold unablässig viele zu einem besseren Leben rief, da wurde er, von der Fackel des Neides mehr und mehr entfacht, immer schlimmer; denn er wollte zwar das Lob eines solchen Wandels genießen, wie Benedikt ihn pflegte, ein lobenswürdiges Leben selbst aber wollte er nicht führen. Von finsterem Neid verblendet, ging er schließlich soweit, daß er dem Diener des Allmächtigen ein vergiftetes Brot zum Geschenk sandte. Der Diener Gottes nahm das Brot mit Dank an, er wußte aber wohl, welche Pest das Brot in sich barg. Es kam aber jeden Tag zur Essenszeit ein Rabe aus dem nahen Wald und erhielt ein Stück Brot aus seiner Hand. Als der Rabe nun wie gewöhnlich kam, warf ihm der Diener Gottes das Brot vor, das der Presbyter geschickt hatte, und befahl ihm: „Im Namen unseres Herrn Jesu Christi nimm dieses Brot und wirf es an einen Ort, wo es kein Mensch finden kann!” Da sperrte der Rabe den Schnabel auf, breitete die Flügel aus und hüpfte krächzend um das Brot herum, wie wenn er sagen wollte, er wolle gern gehorsam sein, aber er könne den Befehl nicht ausführen. Darauf befahl ihm der Diener Gottes mehrmals und sagte: „Nimm es, nimm es, du bist ganz sicher, und wirf es an einen Ort, wo man es nicht mehr finden kann!” Lange zögerte der Rabe noch, aber endlich faßte er es mit dem Schnabel, hob es auf und flog davon. Drei Stunden nachdem er das Brot weggeworfen, kam er wieder und erhielt von dem Manne Gottes sein Stück Brot wie gewöhnlich. Da der ehrwürdige Vater sah, daß der Priester ihm nach dem Leben trachtete, tat es ihm mehr leid um ihn als um sich selbst. Weil aber Florentius den Leib des Meisters nicht töten konnte, so richtete sich sein Sinnen und Trachten ganz darauf, die Seelen S. 66 der Brüder zu verderben; darum schickte er in den Garten des Klosters, in welchem Benedikt war, sieben nackte Mädchen, die sich vor ihren Augen gegenseitig die Hände reichten und einen langen Reigen tanzten, um die Seelen der Schüler zur Wollust zu entflammen. Als dies der Heilige vom Kloster aus sah und befürchtete, die noch jungen Schüler möchten zu Falle kommen, und zugleich erwog, daß dies alles nur geschah, um ihn selbst zu verfolgen, da wich er vor dem Neide zurück; er besetzte alle Klöster, die er erbaut hatte, mit Vorstehern und verteilte die Brüder in den Klöstern. Er aber nahm nur wenige Mönche mit sich und schlug anderswo seinen Wohnsitz auf. Kaum war der Mann Gottes dem Haß des Florentius demütig aus dem Weg gegangen, da strafte diesen der allmächtige Gott auf schreckliche Weise. Der genannte Presbyter stand gerade auf der Altane, als er den Abzug Benedikts erfuhr, und gab seiner Freude darüber Ausdruck; aber da stürzte die Altane, auf der er stand, in sich zusammen und erschlug den Feind Benedikts, während sonst das ganze Haus unbeweglich blieb. Ein Jünger des Gottesmannes, Maurus1 mit Namen, glaubte, dies dem ehrwürdigen Vater Benedikt, der kaum erst zehn Meilen von dem Ort entfernt war, mitteilen zu müssen, und sagte zu ihm: „Kehre zurück, denn der Presbyter, der dich verfolgte, ist gestorben!” Als dies der Gottesmann Benedikt hörte, brach er in bittere Klagen aus, sowohl weil sein Feind umgekommen war, als auch weil sein Schüler über des Feindes Tod frohlockte. Darum legte er dem Jünger auch eine Buße auf, weil er sich vermessen hatte, bei dieser Botschaft sich über den Tod des Feindes zu freuen.
Petrus. Man muß sich wundern und staunen über das, was du eben erzählt hast. Denn bei dem Wasser, das aus dem Felsen kam, sehe ich Moses; bei dem Eisen, S. 67 das aus der Tiefe des Wassers wiederkam, Elisäus; bei dem Wandeln auf dem Wasser Petrus; bei dem Gehorsam des Raben Elias; bei der Trauer über den Tod des Feindes aber David. Wie ich sehe, war der Mann erfüllt von dem Geiste aller Gerechten.
Gregorius. Der Mann Gottes Benedikt, Petrus, besaß den Geist des einen Gottes, der die Herzen aller Auserwählten durch die Gnade der Erlösung erfüllte und von dem Johannes sagt: „Es war das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, der in diese Welt kommt.”2 Und wiederum steht von ihm geschrieben: „Von seiner Fülle haben wir alle empfangen.”3 Denn die heiligen Gottesmänner konnten Wunderkräfte vom Herrn erhalten, aber sie nicht andern mitteilen. Jener aber übergab seinen Untergebenen die Kraft, Wunder zu wirken, der verheißen hat, er werde seinen Feinden das Zeichen des Jonas geben, so daß er vor den Augen der Stolzen sterben, vor den Augen der Demütigen aber auferstehen wollte, damit jene sähen, was sie verachteten, diese aber, was sie verehren und lieben sollten. Durch dieses Geheimnis kommt es, daß die Demütigen eine glorreiche Macht über den Tod empfangen, während die Stolzen nur die Schmach des Todes schauen.
Petrus. Sage mir nunmehr, ich bitte dich, wohin der heilige Mann zog, und ob er dort nachher auch noch seine Wunderkraft betätigt hat.
Gregorius. Wenn der heilige Mann von dort fortzog, so änderte er nur den Ort, der Feind blieb derselbe. Denn er hatte nachher noch größere Kämpfe zu bestehen, weil der Lehrmeister der Bosheit selbst offen gegen ihn stritt. Es liegt nämlich ein fester Platz namens Casinum4 am Fuß eines hohen Berges;5 in weitem Bogen den Ort umschließend erhebt sich der Berg zu einer S. 68 Höhe von drei Meilen, und sein Gipfel ragt hoch in die Lüfte. Dort oben stand ein uraltes Heiligtum, in welchem das törichte Landvolk den Apollo nach alter heidnischer Sitte verehrte. Auch waren dort ringsum Haine für den Dämonendienst angelegt, in welchen das unsinnige Volk damals noch seine Opfer darbrachte. Sowie nun der Mann Gottes dahin kam, zerschlug er das Götzenbild, zerstörte den Altar und steckte die Haine in Brand; den Apollotempel aber verwandelte er in eine Kirche zum heiligen Martinus, und an der Stelle, wo der Altar des Apollo gestanden war, errichtete er eine Kapelle zum heiligen Johannes; darauf wandte er sich an das umliegende Volk und bekehrte es durch unablässige Predigt zum Glauben. Der Urfeind aber wollte dies nicht stillschweigend hinnehmen, sondern stellte sich, nicht heimlich oder im Traum, sondern in einem offenbaren Gesichte vor den Vater und klagte mit lautem Geschrei, daß ihm Gewalt angetan werde, so daß alle Brüder das Geschrei hörten, wenn sie auch die Erscheinung nicht sahen. Wie aber der ehrwürdige Vater seinen Schülern erzählte, erschien ihm der Urfeind in einer ganz schrecklichen, feurigen Gestalt und schäumte und wütete gegen ihn mit feuersprühenden Augen. Was er aber sagte, das hörten alle. Zuerst nämlich nannte er ihn beim Namen; als aber der Mann Gottes keine Antwort gab, brach er sofort in Beschimpfungen aus. Denn als er: „Benediktus, Benediktus!” rief und sah, daß er gar keine Antwort bekam, schrie er weiter: „Malediktus du, nicht Benediktus,6 was hast du gegen mich? Warum verfolgst du mich?” Aber jetzt müssen wir unser Auge hinwenden zu neuen Kämpfen des alten Feindes gegen den Diener Gottes, den er wohl mit Willen bekämpfte, dem er aber wider Willen Gelegenheit zum Siege gab. S. 69
