XI. (40.) An den Kaiser Mauritius.
An den Kaiser Mauritius.
Inhalt: Der Kaiser hatte in einem amtlichen Schreiben, wie es scheint mit Bezug auf Gregors Friedensvermittlung (s. V.36), demselben Einfältigkeit vorgeworfen. Der Papsl weist diese Beschimpfung mit Würde zurück, empfiehlt dem Kaiser größere Ehrfurcht vor den Priestern Gottes und entwirft ihm eine grelle Schilderung der wirklichen Lage Italiens.
Da die kaiserliche Frömmigkeit mich in ihrem allerhöchsten Erlaß zu tadeln sucht, ist sie bei aller Schonung doch schonungslos mit mir umgegangen. Denn auf höfliche Weise werde ich, indem man mir Einfalt1beilegt, ein Thor S. 268 gescholten. Da in der hl. Schrift dieses Wort in gutem Sinne gebraucht wird, so wird es oft behutsam mit Bezeichnungen der Klugheit und Geradheit in Verbindung gebracht So steht von dem hl. Job geschrieben: „Er war ein einfacher2und gerader Mann."3Und der hl. Apostel Paulus ermahnt: „Seid einfältig im Bösen, klug aber im Guten."4Und die Wahrheit selbst ermahnt: „Seid klug wie die Schlangen und einfältig wie die Tauben."5Sie zeigt uns damit, sowohl Einfalt ohne Klugheit, als Klugheit ohne Einfalt sei etwas sehr Nutzloses. Damit also ihre Diener für alle Fälle bereitet seien, wollte sie, daß dieselben einfältig wie die Tauben und klug wie die Schlangen seien, so daß in ihnen Schlangenklugheit die Taubeneinfalt schärfe und Taubeneinfalt die Schlangenklugheit mäßige.
Von mir wird nun in dem allerhöchsten kaiserlichen Erlasse gesagt, ich hätte mich von der Schlauheit des Ariulph täuschen lassen, und ohne Erwähnung der Klugheit wird mir Einfalt zugeschrieben, woraus ohne Zweifel ersichtlich ist, daß man mich einen Thoren schelte. Daß ich Dieß bin, gebe ich selbst zu. Würde Ew. Frömmigkeit es nicht sagen, die Thatsachen würden es schreien. Wäre ich kein Thor gewesen, so hätte ich mich nie dazu herbeigelassen, Das zu ertragen, was ich hier unter den Schwertern der Longobarden zu erleiden habe. Da man mir aber nicht glaubt, was ich von Ariulph versicherte, daß er nämlich von ganzem Herzen bereit sei, sich mit dem Römerreiche zu vergleichen, so werde ich auch der Lüge bezichtigt. Wäre ich auch nicht Bischof, so wüßte ich doch, daß es für einen Bischof eine schwere Beleidigung ist, wenn man ihn, den Diener der Wahrheit, für einen Lügner hält. Längst weiß ich, daß man dem Nordulph sowie auch dem Leo mehr geglaubt hat als mir. Auch jetzt schenkt man Denen, die man gerade vor sich hat, mehr Glauben als meinen Versicherungen. S. 269
Würde nicht das Joch der Eroberung jeden Augenblick noch schwerer auf meinem Lande lasten, so würde ich gerne zu der mir zugefügten Schmach und Verspottung schweigen. Aber Dieß macht mir großen Kummer, daß aus demselben Grunde, aus welchern ich den Vorwurf der Lüge zu ertragen habe, Itatien alle Tage als unter dem Joch der Longobarden befindlich bezeichnet wird. Und während man meinen Vorstellungen in Nichts Glauben beimißt, wachsen die Streitkräfte in‘s Ungeheure. Dieß jedoch bemerke ich dem allerfrömmsten Kaiser: Möge er von mir alles Schlechte denken; wo es sich aber um den Vortheil des Reiches und um die Rettung Italiens handelt, möge er nicht leicht jedem Beliebigen das kaiserliche Ohr leihen, sondern mehr den Thatsachen als den Worten Glauben schenken. Über Bischöfe möge aber unser Gebieter nicht so voreilig gemäß seiner Weltherrschaft zürnen, sondern um Dessen willen, dessen Diener sie sind, mit vorzüglicher Umsicht so seine Herrschaft über sie ausüben, daß er ihnen auch die schuldige Ehrfurcht zu Theil werden läßt. Denn in der hl. Schrift heissen die Priester bisweilen Götter, bisweilen Engel. So sagt Moses von Dem, der einen Eid ahzulegen hat: „Führe ihn zu den Göttern"6d. h. zu den Priestern. Und edenso steht geschrieben: „Verkleinere nicht die Götter,“7 nämlich die Priester. Und der Prophet sagt: „Die Lippen des Priesters sollen die Wissenschaft bewahren, und das Gesetz soll man aus seinem Munde zu hören verlangen; denn ein Engel des Herrn der Heerschaaren ist er."8st es also etwas Großes, wenn Ew. Frömmigkeit Jene zu ehren beliebt, welchen Gott selbst in seinem Worte Ehre erweist, indem er sie entweder Engel oder Götter nennt? Auch die Kirchengefchichte bezeugt, daß der Kaiser Konstantin, frommen Andenkens, als ihm schriftliche Anklagen gegen Bischöfe überreicht wurden, zwar die Anklageschrift annahm, aber die angeklagten Bischöfe berief und vor ihren Augen die empfangene Schrift in's Feuer S. 270 warf, indem er sprach: „Ihr seid Götter, die der wahre Gott aufgestellt hat. Gehet hin und ordnet mit einander eure Angelegenheiten selbst; denn es geziemt sich nicht, daß wir über Götter richten." Durch diesen Ausspruch, frommer Kaiser, hat er sich selbst mehr durch seine Demuth als Jene durch die ihnen erwiesene Ehrfurcht geehrt. Vor ihm regierten ja Heiden über das Reich, welche den wahren Gott nicht kannten, hölzerne und steinerne Götzen anbeteten, aber doch deren Priestern die größte Ehre erwiesen. Was ist es also Großes, wenn ein christlicher Kaiser die Priester des wahren Gottes zu ehren sich würdigt, da, wie gesagt, die heidnischen Kaiser den Priestern, die hölzernen und steinernen Göttern dienten, Ehre zu erweisen wußten?
An Dieses erinnere ich die Frömmigkeit der Kaiser nicht um meinetwillen, sondern wegen aller Priester. Denn ich bin ein sündiger Mensch. Da ich täglich ohne Unterlaß mich gegen den allmächtigen Gott verfehle, so denke ich, es werde mir vor seinem furchtbaren Gerichte zum Nutzen gereichen, daß mich alle Tage unaufhörlich Schläge treffen. Und ich glaube, daß Ihr denselben allmächtigen Gott umso mehr versöhnet, je ärger ihr mich, der ich ihm so schlecht diene, betrübet. Denn viele Schläge hatten mich schon getroffen, aber bei dem Eintreffen des kaiserlichen Erlasses fand ich ungehofften Trost. Wenn ich es vermag, will ich diese Schläge kurz aufzählen.
Zuerst wurde mir der Friede nicht gegönnt, den ich mit den in Tuscien liegenden Longobarden ohne Schaden für das Reich abgeschlossen hatte. 9Als dann der Friede gebrochen war, nahm man die Soldaten von der Stadt Rom hinweg. Die einen fielen im Felde, die andern wurden nach Narni und Perugia gelegt, und um Perugia zu halten, gab man Rom auf. Ein schwererer Schlag war nach diesem S. 271 das Eintreffen des Agilulf, wobei ich mit eigenen Augen sehen mußte, wie die Römer Hunden gleich mit Stricken am Halse zusammengekoppelt zum Verkaufe nach Frankreich geführt wurden. Da Wir Uns innerhalb der Stadtmauern aufhielten,10 entkamen Wir mit Gottes Schutz ihren Händen; aber man suchte nach einem Grund, Uns beschuldigen zu können, indem man fragte, warum kein Getreide vorräthig sei. Man kann nämlich hier keinen größern Vorrath auf längere Zeit aufspeichern, wie ich in einer andern Vorstellung umständlicher auseinandergesetzt habe. Wegen meiner selbst bin ich über Nichts betrübt; denn ich kann auf mein Gewissen sagen, daß ich bereit bin, alle Widerwärtigkeiten zu erleiden, wenn nur Alles zum Heile meiner Seele gereicht. Aber nicht geringes Mitleid habe ich mit den ruhmvollen Männern, dem Präfekten Gregorius und dem Kriegsobersten11Castorius, die auf keine Weise Etwas vernachlässigten, was nur immer geschehen konnte, welche den mühevollsten Wachdienst für die Stadt während der Belagerung durchzumachen hatten und nun nach all' Diesem von schwerer kaiserlicher Ungnade getroffen sind. Da merke ich deutlich: Nicht ihr Verhalten, sondern meine Person wird ihnen verübelt. Weil sie gemeinsam mit mir in der Trübsal sich abgemüht haben, müssen sie nach der Mühe auch gemeinsame Kränkung mit mir erfahren.
Wenn aber die Frömmigkeit des Kaisers mir das furchtbare und schreckliche Gericht des allmächtigen Gottes androht, so bitte ich bei demselben allmächtigen Gott, Dies in Zukunft zu unterlassen. Denn wir wissen noch nicht, wie es S. 272 da einem Jeden ergehen wird. Der große Vötkerlehrer Paulus sagt; „Richtet nicht vor der Zeit, bis der Herr kommt, der das im Finstern Verborgene an‘s Licht bringen und die Geheimnisse der Herzen offenbaren wird." 12Doch will ich nur kurz Dieß sagen, daß ich Unwürdiger und Sündhafter mehr auf die Barmherzigkeit des kommenden Jesus vertraue als auf die Gerechtigkeit Eurer Frömmigkeit. Vieles ist es, was die Menschen hinsichtlich seines Gerichtes nicht wissen; denn vielleicht wird er loben, was Ihr tadelt. Da also Dieß alles ungewiß ist, beschränke ich mich wieder auf meine Thränen und bete, daß der allmächtige Gott unsern allerfrömmsten Kaiser hier auf Erden durch seine Hand regiere und in jenem schrecklichen Gerichte ihn frei von aller Schuld erfinde. Mich aber lasse er, wenn es nothwendig ist, bei den Menschen solches Gefallen finden, daß ich seiner ewigen Gunst dadurch nicht verlustig werde.
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„Simplicitas", was sowohl Einfalt als Einfältigkeit bedeuten kann. ↩
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Simplex, was wieder die Nebenbedeutung von einfältig hat. ↩
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Job 1, 1. ↩
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Röm. 16, 19. ↩
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Matth. 10, 16. ↩
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II. Mos. 22, 8. ↩
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Ebd. V. 28. ↩
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Malach. 2, 7. ↩
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Der Papst hatte also einen Separatsfrieden geschlossen, aber er wurde vom Kaiser, der seinen Befehlshabern Nordulphus und Leo glaubte, nicht bestätigt. ↩
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Rom war damals so viel wie eine offene und nur ganz schach besetzte Stadt; deßungeachtet zog Agilulf nicht in die eigentliche Stadt. Gottes Schutz und die Ehrfurcht der Barbaren vor dem hl. Papste können es allein ereklären, daß dieselben zwar 30 Jahre Rom umlagerten, auch Alles aus der Stadt requirirten, sie aber doch nie besetzten. ↩
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„Magister militum" eine der höchsten Militärstellen, etwa unser Feldzeugmeister. ↩
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I. Kor. 4, 5. ↩