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Works Gregory I, pope (540-604) Ausgewählte Briefe
Neuntes Buch. Briefe aus den Jahren 598–599

XIII. (52.) An den Diener Gottes Sekundinus den Reklusen.

XIII. Gesammtausgabe 52.

An den Diener Gottes Sekundinus den Reklusen.1

Inhalt: Die Echtheit dieses Briefes wird von den Maurinern aus guten Gründen bezweifelt. Jedenfalls enthält derselbe zwei höchst S. 458 verdächtige Fragmente: das eine über die Buße, worin die Behauptung aufgestellt ist, ein gefallener Kleriker dürfe nach geschehener Buße wieder seinen frühem Rang einnehmen, während Gregor doch sonst in seinen Briefen dies durchaus nicht zugibt. (Siehe z. B. I. 43 S. 75; II 28 S.106; besonders aber IV. 26 S. 204 und IV. 9 S. 194.) Das andere verdächtige Fragment ist jenes, welches ausführlich die Bilderverehrung verteidigt. Beide Fragmente fehlen in den meisten Manuskripten. Auch ist der Stil des ganzen Briefes durchaus nicht von jener Kraft und Präzision, wie wir sie an Gregor gewöhnt sind. Indessen ist doch das Fragment über die Bilderverehrung von sehr hohem Alter, indem sich schon Gregor II. während des Bilderstreites auf einer römischen Synode und Hadrian I. in einem Briefe an Karl den Großen auf dasselbe beruft. — Zuerst lobt Gregor das Schreiben des Sekundinus und entschuldigt sich, dass er wegen der Podagra nicht im Stande sei, eine Ermahnungsschrift für ihn zu verfassen. Sodann ist von den Versuchungen des Einsiedlerlebens und vom Dreikapitelstreit die Rede. Es folgt sodann das Fragment über die Wiedereinsetzung gefallener Kleriker. Nach Bemerkungen über den Ursprung der Seele und die Erbsünde folgt die Verteidigung der Bilderverehrung

Das Schreiben Deiner Liebe habe ich empfangen; es hat mir gemundet, als wäre es vom Honigseim der Liebe gewürzt. O welch kräftiges Leben atmet doch alles, was vom Geiste der Gnade eingegeben ist! So zeigt sich in Deinem Brief nicht die Pflege der Beredsamkeit, nicht bloßer Wortschwall, sondern es entfaltet sich aus der Wurzel der Wahrheit und Liebe und atmet in jedem Wort die Liebe zum himmlischen Vaterlande.

Deine Liebe bittet mich aber in demselben, für Dich eine Ermahnungsschrift zu verfassen. Du musst aber wissen, geliebtester Bruder, dass ich von so heftigem Gichtleiden und von so großem Geschäftslärm bedrängt bin, dass ich mich nicht mehr als den erkenne, der ich früher war, obwohl ich S. 459 mich nicht erinnere, irgend einmal etwas gewesen zu sein. Wenn aber Deine Liebe gesteht, auch noch in einem Alter von über 50 Jahren jugendlichen Gelüsten ausgesetzt zu sein, so erfüllst Du damit, was in Gottes Wort geschrieben steht: „Der Gerechte klagt vor allem sich selbst an."2 Doch zweifle ich nicht daran, dass Du größere Versuchungen von dem listigen Feinde erfährst, weil Du Dich auch zu einem größeren Krieg gegen ihn gerüstet hast. Denn je eifriger derselbe Dich nach dem himmlischen Vaterlande streben sieht, mit umso größerem Eifer sucht er Dir eine Täuschung zu bereiten. Wir, die wir das gemeinschaftliche Leben führen, stehen, so feige und furchtsam wir auch sind, des ungeachtet, sofern wir gegen den Urfeind Krieg führen, in der Schlachtreihe; Euch Einsiedler aber, wie kann ich Euch anders nennen als Einzelkämpfer, welche im Feuer ihrer Tapferkeit der Schlachtreihe voraneilen? Wie sollte nun der Feind jenen nicht in besonderer Weise angreifen, von dem er sich in besonderer Wiese angegriffen sieht? Wir, die wir unter Menschen leben, werden oft durch Menschen vom schlauen Feinde versucht. Ihr aber, die Ihr außerhalb des Verkehrs mit Menschen den Weg des zeitlichen Lebens wandelt, habt um so heftigere Angriffe zu erleiden, da der Meister der Verführung selbst sich euch nähert. Denn ohne alle Unterbrechung könnt Ihr beim Gebete und Lobe Gottes nicht obliegen; ist auch der Wille immer bereit, so macht sich doch die menschliche Schwachheit fühlbar, bleibt ermüdet liegen und ermattet in der Ausführung ihres Strebens. Sobald nun der Urfeind die Seele müßig findet, so nähert er sich ihr bei gewissen Gelegenheiten, fängt ein Gespräch mit ihr an, erinnert sie an manches aus der Vergangenheit, lässt einst gehörte Worte ungeziemend widerhallen und stellt längst vergangene schändliche Werke vor das Auge der Seele, um wenigstens durch die Vergangenheit zu schaden, wenn die Gegenwart keinen Anlass zur Sünde bietet. Oft verführt er die Seele zur S. 460 sündhaften Ergötzung einer Sache, die sie schon längst durch Buße gesühnt hat, so dass sie in Wahrheit mit dem Psalmisten sprechen kann: „Meine Narben sind durch meine Torheit faul und schlimmer geworden."3 Die Narbe ist das Merkmal einer Wunde, aber einer geheilten. Die Narbe wird also faul, wenn die Sündenwunde, die schon durch Buße geheilt war, durch eine innere Ergötzung an der Sünde wieder aufbricht. Selbst was wir nie getan haben, sehen wir oft durch die List des schlauen Feindes mit den Augen der Seele. Und wenn dann unvermerkt Ergötzung daran sich, einschleicht; so bereut die unglückliche Seele oft, manches nicht getan zu haben, was sie beweinen müsste, obschon sie schon beweint, was sie getan hat. Das ist die Finsternis unsers Herzens, die wir in diesem Leben selbst gegen unsern Willen zu ertragen haben. Wer kann in diesen Dingen unsre Zuflucht sein, als der Nothelfer zur rechten Zeit?

Sehr angenehm war mir, dass mir Deine Liebe den Zweifel vorlegte, ob die morgenländischen Kirchen am Glauben und an der Lehre des Papstes Leo, seligen Andenkens, festhalten; ob sie nicht etwa unter sich gespalten sind wegen der Verteidigung der drei Kapitel. In dieser Beziehung möchte ich Deine Liebe versichert haben, dass die hochehrwürdigen Kirchen des Morgenlandes einmütig und einhellig an dem Glauben Leo's, seligen Andenkens, festhalten und das Konzil von Chalcedon mit uns so anerkennen und verehren, das kein Bischof zu finden ist, der kein Verteidiger und Anhänger dieses Konzils wäre. Daher kommt es, dass, so oft Bischöfe für die vier wichtigsten Sitze bestellt werden, sie einander Synodalbriefe senden, in welchen sie ihre Anerkennung der heiligen Synode von Chalcedon und der übrigen allgemeinen Konzilien aussprechen. Auch wir bekämpfen und halten des Bannes für würdig welche von dem Glauben dieser Synode etwas hinwegzunehmen oder demselben etwas hinzuzufügen wagen. Denn S. 461 die Synode, welche später als eine allgemeine abgehalten wurde, wird nur deshalb von uns anerkannt, weil sie die Synode von Chalcedon bestätigt, ihre Würde und ihr Ansehen wahrt. Darum muss Deine mir so teure Liebe bei allem Tugendleben, bei aller Abtötung, bei aller Betrachtung des göttlichen Wortes doch auch dies ernstlich bedenken, damit Du nicht dem schismatischen Irrtum verfällst und in Trennung von der allgemeinen Kirche geratest. Und was werden so viele Mühseligkeiten für einen Nutzen bringen, wenn sie sich nicht auf die Einheit im Glauben stützen, welcher die Seele vorzüglich in solchen guten Werken erhält, welche vor den Augen des allmächtigen Gottes Geltung haben? Darum heißt es: „Eine ist meine Taube, meine Vollkommene."4 Darum spricht Gott zu Moses: „Es ist Platz neben mir, du sollst auf dem Felsen stehen."5 Welcher Platz ist nicht in Gott, da von ihm, der alles erschaffen hat, alles- umfasst wird? Doch gibt es einen Platz neben ihm, nämlich die Einheit der heiligen Kirche, wo man auf einem Felsen steht, wenn man sich mit Demut an die Veste ihres Glaubensbekenntnisses hält. An jener Stelle heißt es weiter: „Dann wirst du meinen Rücken sehen." Indem wir auf dem Felsen d. h. in der hl. Kirche uns befinden, werden wir den Rücken Gottes sehen, wenn wir jetzt schon das betrachten, was uns für das Ende verheißen ist, nämlich die Freuden des himmlischen Vaterlandes. Jene bösen Menschen aber, welche unter dem Vorwand der drei Kapitel sich der Kirchenzucht entziehen, fürchten nur die Rüge wegen ihrer fleischlichen Werke, wollen sich den Vorschriften des apostolischen Stuhles nicht unterwerfen und tadeln uns, als wären wir am Glauben irre, während sie denselben gar nicht kennen. Während sie so weder den rechten Glauben besitzen, noch sich gute Werke angelegen sein lassen, suchen sie sich den Anschein zu geben, als kämpften sie für den Glauben. So werden sie alle Tage noch schlechter, da ihre Schuld sich vergrößert, dabei aber noch als glühender Eifer lobwürdig scheinen möchte. Möge aber Deine Liebe nach S. 462 dem Wort der Schrift: „An ihren Werken werdet ihr sie erkennen"6 nur auf ihr Leben achten und zu erkennen suchen, was sie eigentlich bezwecken! Denn um Deiner Liebe die Sache kurz zu erklären, — die hl. Synode von Chalcedon hat bis zur Glaubensentscheidung und Aufstellung der Canones von allgemeinen Angelegenheiten gesprochen. Nach der Aufstellung der Canones suchte sie besondere Streitigkeiten unter den Bischöfen zu schlichten. Du weißt aber, dass der Brief, dessen Abfassung der hochwürdigste Ibas auf der Synode nicht zugestand, sich am Schlusse der Synode befindet. Dieser Brief behauptet, Nestorius sei ohne Verhör und Untersuchung verurteilt worden; von Cyrillus meint er, er sei in den Irrtum des Apollinaris verfallen. Wenn man den ganzen vorhergehenden Text der genannten Synode liest, findet man, wie sehr dieser Brief sich im Gegensatz zu der Synode befinde. Denn die hl. Synode erklärt den Nestorius als Irrlehrer, was er auch ist, den hl. Cyrillus aber verehrt sie als katholischen Vater. Der Brief also, welcher den verteidigt, den die Synode verurteilt und den anklagt, welchen die Synode verehrt, zeigt sich offenbar als im Widerspruch gegen die Entscheidung der hl. Synode. Wenn aber seine Verteidiger zu sagen pflegen, derselbe sei zu jener Zeit geschrieben, in welcher man den Cyrillus wegen der zwölf Kapitel, die er noch nicht erklärt hatte, noch für unzuverlässig hielt, so bedenke, dass in demselben Brief geschrieben steht, es sei zwischen den morgenländischen Bischöfen und Cyrillus ein Friede abgeschlossen worden. Wenn also dieser Brief nach dem Abschluss des Friedens, nachdem jede Zweideutigkeit durch zufriedenstellende Aufklärung beseitigt war, geschrieben worden ist, so steht fest, dass er nicht katholisch ist, weil er einen katholischen Vater, der im ganzen Verlaub der Synode gelobt wurde als Irrlehrer erklärt. Dies wollte ich in Kürze darlegen, da ich in Deinem Briefe nicht gefunden habe, aus welchen S. 463 Gründen vorzüglich Deine Liebe einen Zweifel in dieser Sache habe.

Es wünscht auch Deine Heiligkeit, wir möchten Dich auf verpflichtende Aussprüche hinweisen hinsichtlich der Wiedereinsetzung im Priesteramt Gefallener, wobei Du bemerkst, Du habest hierüber verschiedene Canones gelesen und verschiedene Meinungen gefunden , die einen für Wiedereinsetzung, die andern gegen dieselbe. Wir halten uns nun an die hl. allgemeinen Synoden, die von Nicäa voran, sodann an die vier übrigen nach ihr abgehaltenen; denn diese richten sich nach ihr und stimmen in allen kirchengesetzlichen Bestimmungen vollständig mit ihr überein. Denn auch wir haben uns nach den vorausgehenden Vätern zu richten und weichen mit Gottes Hilfe von ihrer hl. Lehre nicht ab. Wir wissen also, dass von oben angefangen bis zum vierten Altardienst7 folgende Bedeutung einzuhalten sei. Wie der Höhere den Niederen an Würde überragt, so verhält es sich auch im Falle eines Verbrechens. Wer eine größere Schuld sich zugezogen hat, soll auch größere Strafe empfangen; dann aber soll man seine Buße als fruchtbringend erachten.8 Denn was nützt es den Weizen zu säen, aber ihn nicht zu ernten, oder ein Haus zu bauen, ohne es zu bewohnen? Nach geziemender Genugtuung also glauben wir, es könne die verlorene Würde wieder erlangt werden. Sagt ja auch der Prophet: „Wer fällt, soll er nicht wieder aufstehen?"9 und: "Wer sich verirrt hat, soll er nicht wieder zurückkehren?"10 Und dem Sünder ist gesagt: „An welchem Tage du dich bekehrest und seufzest, wirst du gerettet werden."11 Darum sagt auch der Psalmist: „Gott, schaffe in mir ein reines Herz und erneuere den rechten Geist in meinem Innern! Verwirf S. 464 mich nicht von deinem Angesichte und nimm deinen heiligen Geist nicht weg von mir!"12 Wenn er nämlich bittet, vom Herrn nicht verworfen zu werden wegen seines Falles in die Sünde, so zittert und bebt der königliche Prophet, weil er das Weib eines andern geraubt hatte; doch fügt er bei nachdem ihm der Prophet Nathan seine Schuld vorgehalten und er Buße getan hatte: "Gib mir wieder die Freude deines Heiles und stärke mich mit dem fürstlichen Geiste!"13 Hätte er nicht vor Gott gültige Buße getan, so würde er nicht andern predigen. Er sagt aber: „Die Ungerechten, will ich lehren deine Wege, und die Gottlosen werden sich zu dir bekehren.“14 Während der durch Buße gereinigte Prophet auf seine Sünden blickt, trägt er kein Bedenken, die Sünden anderer durch Ermahnungen zu heilen, und mit seinem eigenen Selbst wollte er Gott ein Opfer bringen, indem er sprach: „Ein Opfer ist vor Gott ein zerknirschter Geist."15

Dies möchte für den Zweck genügen. Aber je mehr ein Satz durch Zeugnisse der hl. Schrift bekräftigt wird, umso leichter schenkt man ihm Glauben. So sagt in dieser Hinsicht der Prophet: „Ich will nicht den Tod des Sünders, sondern dass er sich bekehre und lebe."16 Von den Sündern heißt es: „An welchem Tage sich der Sünder bekehrt und seufzt, wird er gerettet werden; alle seine Missetaten werden der Vergessenheit überliefert werden."17 Gewiß, wenn unser Erlöser, der nicht zum Verderben, sondern zur Rechtfertigung der Sünder gekommen ist, die Fehltritte der Sünder der der Vergessenheit überliefert hat, wer unter den Menschen mochte da an der Bestrafung festhalten, da doch der Apostel sagt: „Wenn Gott rechtfertigt, wer möchte verdammen?"18 Wir eilen zur Quelle der Barmherzigkeit und führen das Wort des Evangeliums an: „Ich: werde mich freuen über S. 465 einen Sünder, der Buße tut, mehr als über neunundneunzig Gerechte, die der Buße nicht bedürfen."19 Und der Herr selbst bezeugt, dass das verlorene Schaf unter Zurücklassung der neunundneunzig nicht verirrten auf der Schulter des guten Hirten zum Schafstall zurückgetragen werde. Wenn das verlorene irrende Schaf, nachdem es gefunden ist, auf der Schulter zum Schafstall gebracht wird, warum sollte so ein Gefallener nach seiner Buße nicht mehr zum Kirchendienst berufen werden? In der geheimen Offenbarung ist vom Kirchendienst gesagt: „Bedenke, wovon du abgekommen bist; tue Buße und deine früheren Werke."20 Was ist ärger, sich ein Fleischesvergehen gestatten, ohne welches Wenige gefunden werden, oder den Sohn Gottes mit einem Eide verleugnen? Und wir wissen, dass gerade dadurch der hl. Apostelfürst Petrus, bei dessen Leichnam wir Unwürdiger verweilen, gesündigt habe. Aber seiner Verleugnung folgte die Buße, und nach der Buße ward Barmherzigkeit gewährt; denn der ihm vorher die Verleugnung selbst geweissagt hatte, schloss ihn nachher nicht aus der Zahl der Apostel aus. Mögen Dir diese Worte, gliebtester Sohn, genügen, um nicht zu Zweifeln, dass vor den Äugen der Gottheit Barmherzigkeit erlange, wenn Du jemand mit Tränen seine Sünden tilgen siehst. Denn der verachtet den zurückkehrenden Sünder nicht, der gekommen ist, um die Sünder mit seinem Blute zu erlösen,21 S. 466

Seine Liebe frägt auch wegen der Ordinationsverzeichnisse der Bischöfe des römischen Stuhles, ob sie nach dem hochseligen Hormisdas noch fortgesetzt worden seien. Wisse aber, dass dieselben bis zu den Zeiten des Papstes Vigilius sich erstrecken,22 Durch den Überbringer dieses Schreibens schicken Wir dir auch Aloe, Thymian, Storax und Balsam als Opfer für die Leider der heiligen Märtyrer.

Am Schlusse Deines Briefes fragst Du, was jenen zu antworten sei, welche Deine Liebe wegen der Seelen der kleinen Kinder fragen, die ohne die Taufgnade sterben. Du sagst: Wenn der Leib mit der Erbschuld behaftet ist, wir soll die von Gott verliehene Seele eine Schuld haben, da sie noch nicht in einer wirklichen Sünde dem Leibe nachgegeben hat? Möge in dieser Beziehung Deine mir so teure Liebe wissen, dass die Frage aber den Ursprung der Seele bei den heiligen Vätern keine kleine Erörterung hervorgerufen hat. Ob sie aber von Adam hergeleitet oder jedem Einzelnen verliehen werde, ist ungewiss geblieben. Sie erklärten, es sei diese Frage in diesem Leben unlösbar. Die Frage ist folgenschwer und kann von einem Menschen nicht beantwortet werden. Denn wenn die Seele mit dem Fleisch aus; Adams Wesenheit geboren wird, warum stirbt sie nicht auch zugleich mit dem Fleische? Wenn sie aber nicht mit dem Fleische geboren wird, warum befindet sie sich in dem von Adam abstammenden Fleische, das mit der Sünde behaftet ist? Wenn aber dies ungewiss ist, so ist es doch nicht ungewiss dass ohne die Widergeburt in der hl. Taufe jede Seele mit den Banden der Erbsünde umstrickt ist. Daher steht geschrieben: „Vor seinem Auge ist niemand rein auf Erden, auch nicht ein Kind von einem Tag."23 Darum S. 467 sagt David: „In Ungerechtigkeit bin ich empfangen, in Sünden hat mich meine Mutter empfangen."24 Darum spricht die Wahrheit selbst: „Wenn jemand nicht wiedergeboren ist aus dem Wasser und dem hl. Geiste, so wird er nicht ins Himmelreich eingehen."25 Darum sagt der Apostel Paulus: „Wie alle in Adam sterben, so werden auch alle in Christus lebendig gemacht."26 Warum kann also das Kind, das nichts getan hat, vor den Augen des allmächtigen Gottes nicht rein sein? Warum ist der Psalmist, obwohl aus rechtmäßiger Ehe entsprossen, in Ungerechtigkeit empfangen? Warum ist nur rein, wer durch das Taufwasser gereinigt ist? Warum stirbt in Adam jeder Mensch, wenn er sich nicht in den Banden der Erbsünde befindet? Weil das Menschengeschlecht in seinem Stammvater gleichsam wurzelfaul geworden ist, darum sind die Zweige welk geworden. Darum wird jeder Mensch mit der Sünde geboren, weil der erste Mensch nicht ohne Sünde bleiben wollte. Genauer und eingehender will ich aber hierüber nicht sprechen, sondern da ungestüme Sorgen mich umdrängen und der Überbringer dieses Briefes ungeduldig wird und Abfertigung verlangt, so habe ich weniges gesprochen, da vieles am Platze wäre.

Ich bitte aber den allmächtigen Gott, Dich mit seiner Gnade zu beschützen und Dich durch die Fürsprache des hl. Apostelfürsten Petrus vor allen Übeln zu bewahren, damit Deine Seele täglich mehr in himmlischer Sehnsucht erglühe, damit Dein Eifer sich stets erneuere und mit immer neuer Kraft nach dem Himmelslohn bei jeder Gelegenheit ringe. Ich übersende Dir auch zwei Bücher Homilien, die ich in der Kirche gehalten habe, als ich noch dies zu tun im Stande war. Da ich Dich nicht sehen und mich nicht beständig mit Dir unterreden kann, so möchte ich wenigstens durch die Schriften, die ich abzufassen im Stande war, Dir einigermaßen gegenwärtig sein. Auch schicke ich Dir ein S. 468 geringfügiges Kleidungsstück, womit Deine Liebe, da die Seele in Südhitze erglüht, vom Körper die Nordkälte fern halten möge. Ich bitte Dich aber, inständig für mich zu beten, auf dass ich durch Deine Fürbitte den gegenwärtigen Leiden enthoben und der ewigen Freuden teilhaftig zu werden verdiene.

Wir übermachen Dir auch die Bilder, die Du durch den Diakon Dulcidus verlangt hast. Darum hat uns Dein Verlangen sehr wohl gefallen, weil Du den mit ganzem Herzen, mit ganzer Willenskraft suchst, dessen Bild Du vor Augen zu haben wünschest, damit Dich, was Du täglich mit den Augen des Leibes betrachtest, in geistigen Dingen wohl geübt mache, damit Du beim Anblick seines Bildes in der Seele von Liebe zu demjenigen erglühest, dessen Bild Du vor Dir zu haben wünschest. Wir tun nichts Ungeeignetes, wenn wir unsichtbares durch sichtbares darstellen. So tut auch ein Mensch, der einen andern lebhaft zu sehen wünscht, oder ein Liebhaber, der seine Braut sehen möchte: geht sie ins Bad oder in die Kirche, er stellt sich ihr in den Weg, um durch ihren Anblick erheitert wieder heimzukehren. Wohl weiß ich, dass Du nicht deshalb das Bildnis des Erlösers begehrst, um dasselbe als Gott anzubeten, sondern um durch die Erinnerung an den Sohn Gottes in der Liebe zu ihm zu erglühen, indem Du sein Bild zu sehen wünschest. Auch werfen wir uns vor dem Bilde nieder, nicht als wäre es Gott, sondern wir beten denjenigen an, an dessen Geburt, Leiden oder Herrlichkeit das Bild uns erinnert. Und während so das Bild wie eine Schrift uns den Sohn Gottes ins Gedächtnis ruft, erfreut es entweder unsre Seele durch seine Auferstehung oder bewegt sie durch sein Leiden. Darum schicken wir Dir zwei Tafeln, auf welchen sich das Bildnis des göttlichen Erlösers, der hl. Gottesgebärerin Maria und der hl. Apostel Petrus und Paulus befinden, durch den obengenannten Diakon, unsern Sohn, sowie auch ein Kreuz samt einem Schlüssel als Andenken vom hochheiligen Leibe des Apostelfürsten Petrus, damit Du durch ihn vor dem Bösen beschützt bleibest und S. 469 er Dich gegen denjenigen verteidige, der immer die Jugendgelüste wach zu rufen sucht. Verharre in Deinen guten Werken, bleibe bis zum Ende in der Liebe dessen, um dessen Liebe willen Du als Einsiedler zu leben wünschest! Entflamme auch andere mit seiner Liebe, da Du aus Liebe zu ihm Dich einschließen ließest! Die Leiden dieses Lebens und was immer der böse Feind aus früherer Zeit den Seelenkräften vorspiegelt, das verbrenne gleichsam mit Fackeln aus Liebe zu demjenigen, für welchen Du auch Dein Leben hingeben möchtest. Er schütze Dich bis ans Ende, der die ganze Welt zu erlösen sich würdigte, Jesus Christus, unser Herr, der lebt und regiert von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen.27


  1. Reklusen nennt man diejenigen, welche sich aus Liebe zur Einsamkeit und zum Gebet in Höhlen oder eigenen Zellen einschließen ließen. Bis ins späte Mittelalter kam diese Lebensweise ziemlich häufig vor; schon in den Dialogen III. 16 erscheint Martinus auf dem Berge Marsikus als ein solcher Rekluse. ↩

  2. Spr 18:17 ↩

  3. Ps 37:6 ↩

  4. Hld 6:8 ↩

  5. Ex 33:21 ↩

  6. Math 7:16 ↩

  7. Vom Bischof abwärts bis zum Akolythen, welcher auch jetzt noch die vierte niedere Weihe empfangen hat. ↩

  8. D. h. sie soll das Verlorene wieder bringen, also die Einsetzung in die frühere Würde bewirken. ↩

  9. Ps 40:9 ↩

  10. Jer 8:4 ↩

  11. Jes 30:15 ↩

  12. Ps 50:12,13 ↩

  13. Ebd. V. 14 ↩

  14. Ebd. V. 15 ↩

  15. Ebd. V. 19 ↩

  16. Ez 18:32 ↩

  17. Ebd. V. 22 ↩

  18. Rö 8:33 ↩

  19. Lk 15:7 ↩

  20. Lk 15:7 ↩

  21. Die hier vorgetragene Lehre ist allerdings, wie eingangs nachgewiesen, nicht die des hl. Gregorius, welcher freilich auch jedem reuigen Sünder die Türe der göttlichen Barmherzigkeit öffnet, aber nicht gestattet, dass gefallene Priester wieder ihr früheres Amt auch nach vollbrachter Buße verwalten. - Indessen entspricht das mitgeteilte Fragment der heutigen Praxis und hat die darin enthaltene Lehre nicht bloß große Gründe, sondern auch große Beispiele für sich. Man denke nur an die Milde des hl. Franz von Sales gegen gefallene Priester! Die Hauptsache wird immer die wahre Buße bleiben, welche ja auch die Aufhebung des gegebenen Ärgernisses in sich schließt. ↩

  22. Die Stelle ist im Original sehr dunkel. Wie wir in der Übersetzung angedeutet haben, scheint uns, dass sich die Frage auf eine Art liber pontificalis, d.h. Papst Annalen, bezogen habe. ↩

  23. Job 14; 3. Nach der Septuaginta ↩

  24. Ps 50:7 ↩

  25. Joh 3:3 ↩

  26. 1 Kor 15:22 ↩

  27. Ist auch dieses Bruchstück, wie schon der Stil zeigt, ein späteres Einschiebsel, so ist es doch richtig, dass schon zu Gregors Zeiten die Anfänge des Bilderstreites hervortraten. Dies zeigt der Brief an Serenus. ↩

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Einleitung zu den Briefen des Gregor

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