10. Kap. Die Enthaltsamkeit macht den Geist frei und disponiert zum Gebete und zu geistigen Dingen.
Entsagen wir den fleischlichen Dingen, um endlich einmal geistige Früchte zu bringen! Ergreife die, wenn auch nicht gerade sehr erwünschte, doch schickliche Gelegenheit, niemanden zu haben, dem du die Pflicht schuldest und der sie dir leistet! Du hast aufgehört, ein Schuldner zu sein. - O du Glücklicher! Du hast deinen Schuldner seiner Haft entlassen - trage den Schaden! Wie? Wenn sich nun das, was wir Schaden nennen, als ein Gewinn für dich herausstellte? Durch die Enthaltsamkeit wirst du dir nämlich einen großen Gewinn an Heiligkeit erwerben, durch die dem Fleische auferlegte Einschränkung ein Geistesmann werden. Betrachten wir nur unser eigenes Innere, wie ganz anders sich der Mensch fühlt, wenn er zufällig von seiner Frau getrennt ist! Er denkt geistlich. Wenn er zum Herrn betet, so ist er dem Himmel nahe. Wenn er sich mit der Hl, Schrift beschäftigt, so ist er ganz darin versenkt. Wenn er einen Psalm singt, so findet er Geschmack daran. Wenn er einen Dämon beschwört, so hat er Vertrauen auf sich.
Darum hat der Apostel auch einer zeitweiligen Reinheit erwähnt, zum Zwecke, dem Gebete mehr Empfehlung zu geben; damit wir erkennen, daß, was eine Zeitlang geübt nützt, beständig von uns zu üben sei, damit es beständig nütze. Tagtäglich, jeden Augenblick ist das Gebet den Menschen notwendig, natürlich auch die Enthaltsamkeit, nachdem das Gebet einmal notwendig ist. Das Gebet geht aus dem Herzen hervor. Wenn das Herz aus Scham errötet, so errötet auch das Gebet, Der Geist geleitet das Gebet zum Herrn, Wenn der Geist sich vor sich selbst schuldig fühlt, wie wird er sich erkühnen, das Gebet eines beschämten Herzens1 S. 342zum Altare zu geleiten; denn bei dessen Beschämung errötet er auch selbst, der heilige Diener.
Es ist ein prophetischer Ausspruch des Alten Testamentes: „Seid heilig, weil Gott heilig ist“2 und wiederum: „Mit dem Heiligen wirst du heilig sein, mit dem unschuldigen Manne wirst du unschuldig sein und mit dem Auserwählten auserwählt“3. Wir müssen in die Zucht des Herrn eintreten, wie es würdig ist, nicht mit den schmutzigen Begierden des Fleisches. So sagt denn auch der Apostel: „Nach dem Fleische gesinnt sein, das sei der Tod, nach dem Geiste aber gesinnt sein, das ewige Leben in Christo Jesu, unserem Herrn“4. Ebenso ergeht durch die heilige Prophetin Priska die evangelische Verkündigung, „daß ein heiliger Diener mit Heiligkeit zu dienen verstehen solle“. „Denn Läuterung“, spricht sie, „steht wohl an; sie sehen Gesichte, und wenn sie ihr Antlitz senken, so vernehmen sie auch deutliche Stimmen, die ebenso heilbringend sind als tief verborgen.“ Wenn nun die Abstumpfung, die selbst dann erfolgt, wenn der fleischliche Verkehr in einer einmaligen Ehe ausgeübt wird, den Hl. Geist fernhält, um wieviel mehr wird dies bei einer zweiten Ehe der Fall sein.
