11. Kapitel: Manchmal liegt der Grund der Verdrossenheit in dem Gefühl der Unzulänglichkeit des eigenen Wissens und in der Ungewißheit des Erfolges. — Verhaltungsmaßregeln für den Fall, daß uns in unserer Unterweisung ein Irrtum unterlaufen ist
16. Wenn wir aber lieber schon etwas Fertiges und besser Ausgearbeitetes [von anderen] lesen und hören möchten und wenn es darum zumal im Hinblick auf die Ungewißheit des Erfolges lästig fällt, selber eine Zeitlang unsere Worte schön aneinander zu reihen, so wird das der Zuhörer, soferne er nur nicht bezüglich des Inhaltes von der Wahrheit abgeleitet wird, wenn er auch im Vortrag selbst manches auszusetzen hätte, doch aus den Umständen leicht abnehmen, daß man, hat man nur erst einmal den Inhalt erfaßt, im übrigen nicht so sehr auf den weniger tadellosen und nicht ganz entsprechenden Ausdruck sehen darf; denn der Ausdruck wurde ja dazu gewählt, um das Verständnis zu ermöglichen. Hätten wir aber wirklich in menschlicher Schwachheit trotz der aufgewandten Mühe eine falsche Lehre vorgetragen, wiewohl dies ja beim ersten Religionsunterricht, wo man sich auf wohl gebahnten Straßen bewegen darf, schwerlich vorkommen wird, so müssen wir zu der Überzeugung gelangen, Gott habe das nur zugelassen, um uns zu prüfen, ob wir auch gutwilligen Herzens bereit sind, uns selbst zu verbessern und ob wir uns nicht etwa zur Verteidigung unseres [ersten] Irrtums in einen [zweiten] noch größeren stürzen; denn S. 259sonst könnte es vorkommen, daß unser Zuhörer auch daran noch Ärgernis nimmt. Macht uns indes niemand auf unsern Irrtum aufmerksam und bleibt er uns und unseren Zuhörern [augenblicklich] ganz unbemerkt, so liegt darin kein Grund, uns darob einen Kummer zu machen; wenn es sich nur nicht wiederholt! Meist aber finden wir selbst beim nochmaligen Überdenken unseres gesprochenen Wortes den einen oder den anderen Punkt, wo wir ungewiß sind, wie er wohl beim Vortrag aufgefaßt worden ist; in einem solchen Falle ist allerdings, wenn wirklich Liebe in uns glüht, unser Kummer um so größer, wenn die Sache, trotzdem sie falsch war, doch mit Freuden aufgenommen worden ist. Man muß eben dann eine günstige Gelegenheit zu finden wissen und dafür sorgen, daß geradeso, wie wir uns selbst bereits in der Stille [des Herzens] verbessert haben, auch unsere Zuhörer ohne Aufsehen von dem Irrtum abgebracht werden, in den sie nicht durch Gottes Wort, sondern ganz allein durch das unsrige geraten sind. Wenn aber einige Ohrenbläser, Verleumder und Feinde Gottes1 ganz blind vor törichter Scheelsucht Freude an unserm Irrtum haben, so sollen uns diese Leute Gelegenheit bieten, Geduld und Erbarmen zu üben, weil sie auch die Geduld Gottes zur Buße führt2 . Denn was gibt es Abscheulicheres und was häuft mehr den Zorn Gottes für den Tag des Zornes und der Offenbarung des gerechten Gerichtes Gottes3 auf, als wenn man sich in sündhafter Ähnlichkeit und Nachahmung des Teufels über das Böse am Nächsten freut?
Manchmal mag eine Aussage ganz richtig und wahrheitsgemäß gemacht werden; und doch erregt die Sache Anstoß und beunruhigt den Zuhörer, weil sie entweder nicht verstanden wird oder weil sie in ihrer Neuheit einem alt gewohnten Irrtum und Wahn widerstreitet. Sobald man so etwas merkt und eine Heilung des Zuhörers möglich erscheint, muß man sie unter Aufwendung des ganzen Ansehens seiner Person und aller S. 260Vernunftgründe ungesäumt in Angriff nehmen. Schweigt er aber über den Anstoß, den er genommen hat, und bleibt uns dieser darum verborgen, dann kann nur Gott Hilfe schaffen. Gesetzt also, es wäre ihm nicht beizukommen und er wiese jeden Heilversuch zurück, dann möge uns jenes Beispiel aus dem Leben des Herrn trösten: als nämlich einmal die Leute an seinen Worten Anstoß nahmen und ihn wegen seiner scheinbaren Härte verließen, da sprach er doch noch zu den Zurückbleibenden: „Wollt auch ihr weggehen4 ?“ Denn fest und unerschütterlich müssen wir in unserem Herzen die Überzeugung festhalten, Jerusalem werde aus seiner Gefangenschaft, worin es von dem Babylon dieser Welt gehalten wird, nach Ablauf der bestimmten Zeit befreit werden und keiner seiner Bewohner werde verloren gehen, weil ja die, welche verloren gehen werden, gar nicht zu ihm gehörten. „Denn fest steht die Grundfeste des Herrn und ihr Siegel ist: es kennt der Herr die Seinigen und er stehe von der Ungerechtigkeit ab, wer da nennt den Namen des Herrn5 !"
Wenn wir solches betrachten und den Herrn in unser Herz herabrufen, dann macht die Aussicht auf einen wegen der zweifelhaften Stimmung unseres Zuhörers zweifelhaften Erfolg unseres Vortrags weniger Besorgnis; es wird uns vielmehr gerade das Widrige, das wir bei diesem Werk der Barmherzigkeit zu erdulden haben, zur Freude gereichen, wenn anders wir dabei nicht unsere Ehre suchen. Denn erst dann ist ein Werk ein wahrhaft gutes, wenn der Wille des Handelnden von der Liebe [wie ein Pfeil] vorwärts getrieben wird und zurückkehrend zu seinem Ausgangspunkt in der Liebe wieder seine Ruhe findet. Eine ansprechende Lektüre aber oder das Anhören eines besseren Vortrags werden uns für den Fall, daß wir um ihretwillen mißmutig und verdrossen an unsere Katechese gingen und sie uns lieber gewesen wären [als selbst einen Vortrag halten zu müssen], um so aufgeräumter finden und uns um so größere Freude machen, wenn unsere Arbeit S. 261einmal hinter uns liegt. Wir werden auch mit um so größerem Vertrauen beten, es möge Gott so zu uns sprechen, wie wir es wünschen, wenn wir es gutwillig hinnehmen, daß er so durch uns spricht, wie es unsere Kräfte mit sich bringen. So geht dann an uns in Erfüllung, daß denen, die Gott lieben, alles zum Guten gereicht6 .
