14. Kapitel: Hat unsere Unlust darin ihren Grund, weil wir durch den katechetischen Unterricht von anderen Arbeiten abgehalten werden, so sollen wir bedenken, daß vor Gott die Arbeit für fremde Seelen wertvoller ist als unsere private Beschäftigung. — Ist fremdes Ärgernis an unserer Unlust schuld, so soll der Gedanke, dem lieben Gott eine neue Seele gewissermaßen als Entgelt retten zu können, uns aneifern; sind wir aber wegen unserer eigenen Sündhaftigkeit niedergedrückt, so soll ein doppelter Eifer in der Seelsorge unsere Buße dafür sein
20. Wenn du aber deshalb mißgestimmt bist, weil du ein anderes, dir notwendiger erscheinendes Geschäft, von dem du gerade in Anspruch genommen warst, liegen lassen mußt und wenn du aus Unmut hierüber deinen Unterricht schlecht gelaunt gibst, so mußt du bedenken, daß wir eigentlich nur das eine sicher wissen, daß wir bei all unserm Wirken für die Menschen uns nur von Barmherzigkeit und von reinster Liebe antreiben lassen müssen; aber abgesehen davon ist es ganz ungewiß, welche von unseren Verrichtungen gerade die nützlichere ist und welche wir [im einzelnen Fall] besser unterbrechen oder auch ganz unterlassen sollen. Was nämlich die Menschen, denen unser Wirken gilt, von Seiten Gottes verdienen, das wissen wir ja nicht; was darum für die Menschen im einzelnen Fall gerade nützlich ist, das beruht nicht so fast auf einem Wissen, als vielmehr nur auf einem recht schwachen und unsicheren Erschließen unsererseits. Wir müssen darum unsere Geschäfte zwar nach unserem [besten] Verständnis ordnen: können wir sie dann in der von uns beabsichtigten Ordnung auch ausführen, dann wollen wir S. 267uns darüber freuen, aber nicht darob, weil wir, sondern weil Gott sein Wohlgefallen daran gehabt hat; tritt aber ein Zwangsfall ein, der diese unsere [schöne] Ordnung stört, so sollen wir uns gern beugen, aber nicht brechen: soll ja doch die von Gott der unsrigen vorgezogene Ordnung auch die unsrige sein. Denn es ist wahrlich geziemender, daß wir seinem Willen folgen, als daß er sich nach dem unsrigen richten muß. Denn schon wenn wir uns für unsere Geschäfte nach eigenem Gutdünken eine Ordnung festsetzen, ist sie nur dann lobenswert, wenn in ihr das Wichtigere voransteht. Warum sollten also wir Menschen darüber traurig sein, daß Gott den Vorrang vor uns Menschen verlangt, wenn er doch soviel mehr ist als wir? Wollten wir vielleicht gerade in dem Augenblick, wo wir der von uns aufgestellten Ordnung den Vorzug geben, aus der eigentlichen [von Gott gewollten] Ordnung heraustreten? Denn derjenige ordnet seine Geschäfte am besten, der größere Bereitwilligkeit hat, auf das zu verzichten, woran die Macht Gottes ihn hindert, als wer darnach begehrt, das zu tun, worauf er mit seinem menschlichen Denken sinnt. Gar vielfach sind nämlich die Gedanken eines Menschen, der Ratschluß des Herrn aber bleibt in Ewigkeit1 .
21. Gesetzt aber, wir brächten deshalb keinen von Herzen kommenden und ansprechenden Vortrag zustande, weil wir durch irgendein Ärgernis aus der Verfassung gebracht worden sind, so muß unsere Liebe zu denen, für die Christus gestorben ist, um sie durch den Preis seines Blutes von dem Tode der Irrtümer dieser Welt zu erlösen, so groß sein, daß, sobald uns in unserer Mißstimmung gemeldet wird, es sei jemand da, der Christ werden wolle, gerade diese Nachricht unsere Mißstimmung besänftigen, ja völlig beseitigen muß, geradeso, wie die Freude an einem Gewinn den Schmerz über einen erlittenen Verlust lindert. Denn nur ein Ärgernis über einen solchen versetzt uns in Trauer, von dem wir glauben oder sehen, daß entweder er selbst S. 268oder ein Schwacher durch seine Schuld zugrunde geht. Kommt also nun ein anderer, um sich in die Kirche aufnehmen zu lassen, so mag er durch die Hoffnung, die er auf seine Rettung gibt, den Schmerz über den Untergang dessen aufwiegen, an dessen Abfall wir Ärgernis nehmen. Mag immerhin auch noch die Furcht Platz greifen, es könne der Neuangekommene vielleicht doch noch ein Kind der Hölle2 werden, da wir so viele derartige Fälle vor Augen haben, wovon eben jene Ärgernisse, die uns so wehe tun, herrühren, so darf dies für uns doch kein Grund zum Nachlassen, sondern vielmehr ein Anlaß zu noch größerem eifrigen Bemühen sein. Wir sollen vielmehr gerade deshalb unsere Schüler dazu ermahnen, sich doch recht vor einer Nachahmung derer zu hüten, die nicht in Wahrheit, sondern nur dem Namen nach Christen sind; die große Anzahl solcher Christen dürfe ihn nicht dazu verleiten, ihnen zu folgen oder ihretwegen vielleicht Christus nicht zu folgen oder nicht zu der Kirche Gottes gehören zu wollen, zu der solche Leute gehören, oder in dieser Kirche ein solches Leben führen zu wollen wie jene. Bei solchen Ermahnungen gewinnt der Vortrag ein merkwürdig höheres Feuer, das sich an dem Schmerz entzündet, der uns gerade drückt: also nicht lässiger sollen wir in solcher Lage sein, sondern gerade deshalb sollen wir um so gehobener und eindringlicher im Vortrag dessen sein, was wir in ruhigeren Augenblicken kälter und schleppender vortragen würden; freuen sollen wir uns darüber, daß sich uns eine Gelegenheit bietet, wo unsere Gemütsbewegung nicht vorübergeht, ohne Frucht zu tragen.
22. Befällt uns aber Traurigkeit wegen eines von uns selbst begangenen Fehlers oder wegen einer Sünde, so wollen wir nicht bloß bedenken, daß ein zerknirschter Geist vor Gott ein Opfer ist3 , sondern wir wollen uns auch jenes Ausspruches erinnern: „Gleichwie das Wasser das Feuer, so tilgt das Almosen die Sünde aus4 “, und des anderen: „Barmherzigkeit will ich mehr S. 269als Opfer5 “. Wie wir also, wenn uns das Feuer bedroht vor allem nach Wasser eilen, um den Brand löschen zu können, und froh darüber sind, wenn jemand schnell solches herbeischafft, so müssen wir uns, wenn aus unserm Heu6 die Flamme der Sünde hervorbricht wjr darob in Schrecken geraten, doch auch wieder freuen daß sich uns nun Gelegenheit zu einem ganz großen Werk der Barmherzigkeit bietet und wir somit eine Quelle haben, aus der sich der entstandene Brand löschen läßt. Es müßte schon sein, daß wir so töricht wären und meinten, es sei notwendiger, mit dem Brote zu eilen, um den Magen eines Hungrigen zu stopfen, als mit dem Worte Gottes, um damit den Geist dessen zu unterrichten, der es genießt. Überdies würden wir, auch wenn diese Tätigkeit nur Nutzen, ihre Unterlassung aber keinen Schaden brächte, das Heil nicht bloß unseres Nächsten sondern auch von uns selbst in Gefahr bringen, würden wir die sich uns bietende Heilsgelegenheit zurückweisen. Wie drohend klingen aus dem Munde des Herrn schon jene Worte: „Du nichtswürdiger und träger Knecht du hättest mein Geld den Wechslern geben sollen7 “ Wie groß ist daher erst der Wahnsinn wollten wir deshalb, weil jene eine Sünde uns ängstigt nun noch eine neue dadurch hinzubegehen daß wir das Geld des Herrn dem nicht geben wollten, der doch inständig darnach verlangt. —
Mit solcherlei Gedanken und Erwägungen vertreibt man das Dunkel mißmutiger Verdrossenheit und schafft so die rechte Stimmung für den Unterricht, auf dass der Geist [des Zuhörers] mit Wohlgefallen in sich aufnimmt, was aus der Fülle der Liebe mit Lust und Freude [aus dem Munde des Katecheten] hervorquillt. Das sage ich nicht dir, nein, zu uns allen spricht es jene Liebe selbst „die da ausgegossen ist in unsere Herzen durch den heiligen Geist, der uns gegeben ist8 .
