[Vorwort]
S. 148 Mit dem endgültigen Abschied unseres Kirchenvaters von der Ewigen Stadt war sein Einfluß dortselbst keineswegs erloschen. Auch in der Ferne war er der Mann, an den man sich gern und vertrauensvoll wandte, wenn man in wichtigen Lebensfragen der Belehrung bedurfte. Unser Brief ist die Antwort an eine junge römische Witwe namens Furia, welche sich entschlossen hatte, trotz des Drängens ihrer Verwandten keine zweite Ehe einzugehen. Diesen Entschluß hatte sie dem hl. Hieronymus, den sie persönlich nicht kannte, mitgeteilt und ihn gebeten, ihr mit seinem Rate beizustehen, damit sie auch ihr Vorhaben treu zur Durchführung bringe.
Furia, ein Sprößling des alten Patriziergeschlechtes des Furius Camillus, 1 war durch Verwandtschaft mit einer Anzahl vornehmer römischer Persönlichkeiten verbunden, die man als Mitglieder des aszetischen Zirkels bezeichnen kann. Mit ihr nahe verwandt war der Senator Pammachius, auch ein Abkömmling der Furier. Ihr Bruder war der Gemahl Blesillas, der ältesten Tochter der hl. Paula, nach dessen Tode der ganze Reichtum ihrer Eltern an sie fiel. Furia war mit einem Sohne eines Consularen Probus 2 verheiratet, der ihr nach kurzer Ehe durch den Tod entrissen wurde. Leipelt 3 denkt an den durch seinen Reichtum und seine politische Machtstellung berühmten praefectus praetorio Sextus Anicius Petronius Probus, der 371 Konsul war. Einen anderen Konsular dieses Namens kennt die Geschichte aus jener Zeit nicht. Von diesem Konsul Probus sind drei Söhne, Olybrius, Probinus und Probus bekannt. Sie kommen aber als Gatten Furios nicht in Frage, da die beiden ersten zusammen im Jahre 395 Konsuln waren, während Probus diese Würde 406 bekleidete. Leipelts Vermutung S. 149 hat zur Voraussetzung, daß noch ein vierter, sonst unbekannter Sohn vorhanden war, eine Annahme, die in dem frühen Tode von Furias Gatten, der vor 395 erfolgt sein muß, eine Stütze findet.
Der vorliegende Brief ist eine Zusammenstellung von praktischen Lebensregeln ohne die sonst in ähnlichen Schreiben übliche Exegese der Paulusstellen, die sich mit der Witwenehe befassen. Die Einwände zugunsten einer zweiten Ehe werden aus Erwägungen praktischer Natur zurückgewiesen, ihre Nachteile scharf herausgestellt. 4 Aus der Hl. Schrift wird das Beispiel solcher Witwen angeführt, die besonders gottgefällig gewirkt Haben. Zum Abschluß wird auf die hl. Marcella als Vorbild hingewiesen. Da der Brief in einer Zeit verfaßt ist, in welcher Hieronymus noch sehr für die allegorische Schriftdeutung schwärmte, so ist es verständlich, daß er auch in diesem Briefe, nicht immer zum besten des Verständnisses, davon reichlich Gebrauch macht. Wie sich aus dem im Jahre 409 geschriebenen Briefe an Geruchia ergibt, ist Furia ihrem Entschlusse treu geblieben. 5
Was den Zeitpunkt der Abfassung betrifft, so berichtet Hieronymus, daß der Brief etwa zwei Jahre nach der Streitschrift gegen Jovinian verfaßt ist, d.h. im Jahre 395. 6
M. Furius Camillus, der, nachdem er fünfmal Diktator war, 364 v. Chr. an der Pest starb. ↩
Ep. 123, 17 ad Geruchiam (Probi quondam consulis nurum). ↩
Leipelt, Ausgew. Schriften des hl. Hieronymus I. Kempten 1872, 344 f. ↩
„Mit raffinierter Kunst“ (Gr. II 182). ↩
Ep. 123, 17 ad Geruchiam. ↩
Ep. 54, 18. ↩
