4.
Ganz anders steht es mit den liturgischen Stücken des achten Buches der apostolischen Konstitutionen1, welche nicht bloß jüngeren Datums als jene ersten sieben Bücher sind, sondern auch eine andere Herkunft verraten. Sie sind das Werk eines Gelehrten, dessen Heimat Syrien war, der aber durch Verschmelzung mit S. 6 andern Riten, insbesondere auch jenen der ägyptischen Kirchenordnung, ein syrisches Gegenstück schuf zu dem Euchologium des Serapion von Thmuis. Diese beiden Euchologien sind zwei Antipoden, von denen der Ägypter beim Syrer Anleihen machte, der Syrer (vielleicht nur indirekt durch die Redaktion des Römers Hippolyt) beim Ägypter. Beide haben das gemeinsam, daß sie gelehrte Arbeit waren und blieben. Ihre Verwendung in der Praxis ist mehr als zweifelhaft, jedenfalls war sie von keiner langen Dauer. Und doch ist ihr Wert zur Kenntnis der syrischen Liturgie am ausgehenden vierten Jahrhundert unschätzbar, da sie das allgemein Gültige in nicht zu verkennender Weise erhalten hat.
Allgemein wird die Abfassung dieses achten Buches nach Antiocheia verlegt, während uns für die Liturgie Jerusalems2 eine andere Quelle zu Gebote steht, welche man als die fünfte mystagogische Katechese des hl. Cyrill von Jerusalem bezeichnete und in das Jahr 348 datierte. Nach den Aussagen der ältesten Handschrift, welche die Katechesen überliefert, eines cod. Monac. gr. 394 (saec. X) und anderer jüngeren Handschriften scheint aber als Verfasser der mystagogischen Katechesen auch der Nachfolger Cyrills auf dem bischöflichen Stuhle mit dem Namen Johannes, der bis 417 dort tätig war, in Betracht zu kommen. Die bezeichnete Katechese teilt nur die Eigenheiten mit, welche für die Messe, an der zum erstenmal die Neugetauften teilnahmen, charakteristisch sind. Deshalb knüpft die Erklärung an den Ritus an, daß nach der Erteilung von Taufe und Firmung, wenn es zur Feier der Messe überging, der Diakon dem Bischof ein Handwasser darreichte, wobei letzterer Ps. 25 [hebr. Ps. 26] „lavabo inter innocentes manus meas“ rezitierte. Die Symbolik dieser Handlung bezog sich nicht bloß auf die innere Reinheit der Liturgen, sondern auch der Neugetauften, die nun an der Liturgie teilnahmen. Die Neophytenmesse begann sofort mit dem Friedenskuß und der Opferdarbringung, denen die Responsorien zum Dankgebet folgten. Die Praefation selbst bewegt sich in Gedanken, die in der Liturgie der Apostolischen Konstitutionen l. VIII vorkommen. Von den S. 7 Abendmahlsworten wird nichts erwähnt; sondern nur die Epiklese, die Bitte um Verwandlung der Gestalten durch den Hl. Geist mit einem Opfergebet, woran sich die Litanei für die Anliegen der ganzen Kirche und aller möglichen Stände mit den Totendiptychen anschließt. Dann wird das „Vater unser“ rezitiert, worauf der Gläubige mit „Amen“ antwortet. Die übrige Vorbereitung zur Kommunion besteht aus einigen Ausrufen des Liturgen τὰ ἅγια τοῖς ἁγίοις [ta hagia tois hagiois] mit dem Bekenntnis εἷς ἅγιος, εἷς κύριος Ιησοῦς Χριστός [heis hagios, heis kurios Iēsous Christos] und aus dem Gesang von Ps. 33 [hebr. Ps. 34]. Die Art und Weise, wie der Gläubige sich zur Kommunion nähern soll, wird im Detail beschrieben; die Faltung der Hände und die Berührung der Augenlider mit der Hostie, die Benetzung von Auge und Stirne mit der vom Genuß des Blutes herrührenden Feuchtigkeit der Lippen bilden Gegenstand der Unterweisung. Mit einer Wunschformel hat die Katechese ihr Ende erreicht.
Eine Ergänzung zu diesen Quellen, welchen sich noch Notizen bei Eusebius, Epiphanius3, für den antiochenischen Ritus bei Johannes Chrysostomus (von 386 bis 397 Presbyter von Antiocheia)4, und auch in den Schriften des im Orient weilenden Hieronymus beigesellen, bildet der Pilgerbericht einer südgallischen Nonne Aetheria5, der uns speziell über die Feier der Karwoche in Jerusalem und Umgebung Aufschluß gibt. Die Datierung dieser von Gamurrini nach einer Handschrift von Arezzo zuerst 1887 edierten „Peregrinatio ad loca sancta“ scheint wiederum, nachdem Karl Meister gewichtige Gründe für das sechste Jahrhundert vorbrachte, mehr Anhänger für das ausgehende vierte Jahrhundert zu finden. Zwar sind die Angaben über den üblichen Ritus der Abendmahlsfeier sehr spärlich, dennoch gewähren sie in manche Eigenheiten uns einen Einblick, die uns sonst nicht ohne weiteres verständlich sind. Zum Sonntagsgottesdienste scheinen zwei Kirchen in Jerusalem nötig gewesen zu sein. In der einen wurde der Lese- und Predigtteil abgehalten, welcher oft lange Zeit in Anspruch nahm, da jeder Presbyter, wie auch der Bischof, zum Worte kommen konnte. Die Katechumenen wurden entlassen und trennten sich von den Gläubigen. Diese kamen zur eigentlichen S. 8 Abendmahlsliturgie in einer zweiten Kirche zusammen, wohin der Bischof von der ersten geleitet wurde. Der Gottesdienst fing da erst um die vierte oder fünfte Stunde an, also um 10―11 Uhr, manchmal auch erst um die sechste. Der weitere Verlauf ist nur in den dürftigsten Zügen angedeutet: Dankgebet, Gebet für alle, Inklinationsgebet zum Schlusse, worauf der Bischof alle segnet. Eingehender berichtet die Nonne von bestimmten Festzeiten: Epiphanie, dem Feste der praesentatio, dem achtwöchigen Fasten vor Ostern, von der Begehung des Palmsonntags und der Karwoche, Ostern und Pfingsten. Was da an Eigenheiten des Ritus außerhalb der Abendmahlsliturgie erwähnt wird, hat nicht allein für Jerusalem Interesse, sondern läßt auch deutlich erkennen, wie weit so manche Eigentümlichkeit von Sion aus nach Westen drang und auf den ganzen christlichen Erdkreis Einfluß gewann.
Hatten wir bisher der westsyrischen Liturgie Aufmerksamkeit geschenkt, so kann auch die ostsyrische Christenheit unser Interesse nach dieser Richtung in Anspruch nehmen. Wir wissen zwar, daß bereits seit dem Ende des zweiten Jahrhunderts Katechetenschulen in Edessa und Nisibis blühten; allein von den dort geübten Liturgien haben wir bis auf die zersprengten Nachrichten bei Ephrem dem Syrer6, Diakon in Edessa (c. 300—379), keine Notizen. Soweit er uns aber über die Lesungen aus dem A. T., dem Apostolos und den Evangelien, über die Gabendarbringung, über Trisagion und Abendmahlsworte, Epiklese, Fürbittengebete und gewisse Gebete zum Kommunionakte unterrichtet, ersehen wir, daß die seinen Ausführungen zugrunde liegende Form der Liturgie so ziemlich mit der antiochenischen Messe übereinstimmte. Von Antiocheia aus erfolgte wohl auch die Missionierung dieser Gegenden. Anzeichen gewisser Eigentümlichkeiten der ostsyrischen Messe scheinen allerdings auch schon bei ihm hervorzutreten: die Stellung der Fürbitten schon vor der Epiklese, welcher die Exomologese mit Rezitation der ersten Verse des Psalmes „miserere“ folgte.
(14.) s. Ed. Schwartz, Über die pseudoapostol. Kirchenordnungen (Schriften der wissensch. Gesellschaft zu Straßburg Heft 6), 1910. ↩
(15.) s. Ausgabe: Jos. Rupp, Cyrilli Hierolym. archiep. opera quae supersunt omnia, vol. II, Monac. 1860, S. 398 (tituli der mystag. Katechesen) und 344 Anm. 2. Die fünfte mystagog. Katechese S. 380 ff.—395, s. F. E. Brightman, Liturgies Eastern and Western vol. I Oxford 1896, appendix B S. 464 ff. und bei H. Lietzmann, Liturgische Texte s. o. [ Zur Geschichte der oriental. Taufe und Messe im 2. und 4. Jahrh. Bonn, 2. Ausgabe 1907] und bei G. Rauschen, Florileg. patrist. VII s. o. [Monumenta eucharistica et liturgica vetustissima 1909] ――. ↩
(21.) s. Ferd. Probst, Liturgie des vierten Jahrh. und deren Reform, Münster 1893, 98, 161 f, 196 f. ↩
(22.) s. Brightman, a. a. O. [Liturgies Eastern and Western vol. I Oxford 1896] S. 470͟―481 app. C. Ferd. Probst, Die antiochen. Messe nach den Schriften des Joh. Chrysost. dargestellt, Zeitschrift f. kathol. Theologie 1883, 250 ff. J. Lebreton, Le dogme de la Transsubstantiation et la christologie antiochienne du Vme siècle in Report of the nineteenth eucharistie congress held at Westminster 1909, 326; Prinz Max von Sachsen, La doctrine de S. Jean Chrysostome sur la divine eucharistie in Report of the euch. congr. 1909 ebenda S. 121 ff. ↩
(23.) P. Geyer CSEL XXXIX 1898 S. 76, 25 (c. 25, 10) s. Brightman, Liturgies a. a. O. S. 467 (append. B); über Ausgaben und Literatur, s. O. Bardenhewer, Patrologie 3. Aufl. 1910, 368. F. Cabrol, Les églises de Jérusalem. La discipline et la liturgie au IVme siècle. Etude sur la pérégrinatio Silviae. Paris 1895. Über die neueste Datierungsfrage s. A. Baumstark, Das Alter der Peregrinatio Aetheriae in Oriens christianus, Neue Serie I. Band 1911, 32—77, worin auch die Untersuchungen von K. Meister, E. Weigand u. a. genannt sind. Vgl. A. Baumstark, Rom oder Jerusalem? Eine Revision der Frage nach der Herkunft des Lichtmeßfestes. Theol. u. Glaube 1909, 89—105. ↩
(24.) s. Ferd. Probst, Liturgie des 4. Jahrh. und deren Reform, Münster 1893. ↩
