Siebenter Artikel. Der Zorn gilt jenen nur, denen gegenüber Gerechtigkeit besteht.
a) Dem widerspricht: I. Das Band der Gerechtigkeit verbindet nicht den Menschen mit den vernunftlosen Geschöpfen. Der Zornige aber macht zum Gegenstande seines Zornes auch Vernunftloses; wie der Schreiber z. B. im Zorne die Feder wegwirft, die nicht gut schreibt. II. Die Gerechtigkeit des Menschen erstreckt sich nicht auf die eigene Person und seine eigenen Sachen. Darauf geht aber der Zorn. Denn der Mensch zürnt oft sich selbst, wie der Reuige z. B. wegen der Sünde, so daß Ps. 4 gesagt wird: „Zürnet wohl, aber sündiget nicht.“ III. Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit kann sich erstrecken auf ein ganzes Geschlecht oder eine ganze Gemeinschaft; wie z. B. wenn der Staat jemanden verletzt hat. Der Zorn erstreckt sich aber nicht auf etwas Gemeinsames, sondern immer auf Einzelnes. (2 Rhet. 4.) Also der Zorn erstreckt sich nicht im eigentlichen Sinne auf jene, mit denen uns das Band der Gerechtigkeit verknüpft. Auf der anderen Seite steht die Autorität des Aristoteles. (2 Rhet. 4.)
b) Ich antworte; der Zorn begehre nach dem Übel auf Grund der gerechten Rache. Also gegenüber den nämlichen besteht der Zorn, gegenüber welchen Gerechtigkeit besteht. Denn jemand verletzen ist gegen die Gerechtigkeit; Rache nehmen gehört zur Gerechtigkeit. Also sowohl von seiten der Ursache, die da ist das Verletzen von seiten eines anderen; als auch von seiten der Rache des Verletzten, die der Zornige erstrebt, gehört es offenbar den nämlichen an, zu zürnen, auf welche die Gerechtigkeit oder Ungerechtigkeit sich erstreckt.
c) I. Der Zorn kann auch in den Tieren sein, inwieweit sie durch den natürlichen Antrieb oder Instinkt vermittelst der Einbildung zu etwas hin bewegt werden, was den Werken der Vernunft ähnlich ist. Da also in den Menschen Vernunft ist und Einbildungskraft, so kann in doppelter Weise die Zornesbewegung erstehen: einmal nur infolge der Einbildungskraft, welche die Verletzung kündet; und so entsteht eine Zornesbewegung gegen unvernünftige Dinge, gemäß der Ähnlichkeit mit den Tieren; — dann infolge der Vernunft, welche die Verletzung kündet; und so ist niemals Zorn gegen vernunftlofe, leblose Dinge, sowohl weil sie keinen Schmerz empfinden, was in höchstem Grade erstreben die Zornigen in denjenigen, welchen sie zürnen, als auch weil auf diejenigen die Rache sich nicht erstreckt, denen es nicht zugehört ein Unrecht zu thun. II. Figürlicherweise ist nach Aristoteles (5 Ethic.) im Menschen eine Gerechtigkeit gegenüber sich selbst; insoweit nämlich der Vernunft es gebührt, die sinnliche Begehr- und Abwehrkraft zu lenken. Und danach wird vom Menschen gesagt, er räche sich gegenüber sich selbst, er strafe sich. Im eigentlichen Sinne ist da jedoch von Strafe, Gerechtigkeit, Zorn keine Rede. III. Der Haß, so Aristoteles (2 Rhet. 4.) kann sein gegen ein ganzes Geschlecht; wie wir z. B. das ganze Geschlecht der Räuber hassen. Der Zorn aber ist bloß gegen Einzelnes. Der Grund davon ist, daß derdadurch verursacht wird, daß wir etwas auffassen als zu uns im Gegensatze stehend oder vielmehr zu unserer ganzen Verfassung; und das kann ein ganzes Geschlecht sein. Der Zorn aber wird dadurch verursacht, weil jemand durch seine Thätigkeit verletzt hat; und Thätigsein geht die einzelnen Individuen an. Wenn aber ein ganzer Staat verletzt hat, so wird der ganze Staat als ein einiges Ganze, als Einzelwesen aufgefaßt.
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