Sechster Artikel. Der Haß ist schwerer und schlechter wie der Zorn.
a) Das Gegenteil scheint festzustellen: I. Prov. 27.: „Der Zorn und die ausbrechende Wut hat keine Barmherzigkeit.“ Der Haß aber hat bisweilen Gerechtigkeit. II. Mehr ist es, Übles erdulden und über das Übel Schmerz empfinden als einfach es erdulden. Wer aber jemand haßt, für den genügt es, daß der Gehaßte Übles erdulde. Dem Zornigen jedoch genügt dies nicht, sondern er strebt danach, daß der andere sein Übel erkenne und darüber Schmerz empfinde. (2 Rhet. 4.) III. Wann zur Bildung eines Wesens mehrere Ursachen zusammentreten, desto fester und dauerhafter scheint dieses zu sein; wie ja auch jene Gewohnheit oder jener Zustand dauerhafter ist, der aus mehreren Arten verursacht wird. Der Zorn aber wird gebildet durch das Zusammenwirken mehrerer Leidenschaften; was beim Hasse nicht der Fall ist. Auf der anderen Seite vergleicht Augustin in der „Regel“ den Haß mit dem „Balken“, den Zorn mit dem „Splitter“.
b) Ich antworte; es müsse die Gattung und innere Seinsgrund einer Leidenschaft gemäß deren Gegenstände erwogen werden. Nun ist der Gegenstand des Hasses und des Zornes dem Subjekte oder dem Träger nach der nämliche: nämlich sowohl der Haßerfüllte wie der Zornige begehrt für die betreffende Person, das Subjekt, Übles. Aber der Grund, aus dem Haß und Zorn die nämliche Person treffen, ist verschieden. Der Haßerfüllte nämlich will für den Feind Übles, insoweit dies wirklich Übles; während der Zornige der nämlichen Person Übles wünscht, insoweit dasselbe einen gewissen Charakter des Guten hat; insoweit es nämlich für gerecht gehalten wird, daß man sich rächt. Deshalb kann der Haß kraft der Anwendungdes Übels auf den, der einem zuwider ist d. h. auf den als Übel betrachteten, einem nur als Übel vorkommen; der Zorn aber existiert auf Grund der Anwendung des Guten auf den, der zuwider ist, also auf den, der einem als ein Übel vorkommt. Begehren aber Böses auf Grund des Guten trägt minder den Charakter des Bösen, wie Begehren Böses auf Grund des Bösen. Es kann sogar gemäß der Tugend der Gerechtigkeit sein, Böses d. h. Strafe zu wollen auf Grund des Guten d. h. auf Grund der gerechten Vergeltung, wenn nämlich die Vorschrift der Vernunft befolgt wird. Der Zorn ist eben darin mangelhaft, daß er nicht genugsam hört auf die Stimme der Vernunft. Haß also ist weit schlechter und schwerer wie Zorn.
c) I. Beim Zorne und beim Hasse ist zweierlei zu erwägen: 1. Der Gegenstand, der erstrebt wird; und 2. der Grad der Intensität dieses Verlangens oder Erstrebens. Nach der Erwägung vom Gegenstande aus bringt der Zorn mehr Barmherzigkeit mit sich wie der Haß; denn letzterer will das Übel, insoweit es für jemanden Übel ist und weiter nichts, so daß da keinerlei Maß gefunden wird; wie z. B. der Geizige das Geld an sich, nicht als etwas Zweckdienliches erstrebt und danach ohne Maß. Deshalb heißt es Ekkli. 12.: „Wenn die Zeit des Feindes gekommen sein wird, dann wird er durch Blut nicht gesättigt werden.“ Der Zorn aber begehrt nicht nach dem Üblen an sich, sondern auf Grund gerechter Rache. Ist also das Maß dieser Rache nach der Schätzung des Zornigen erreicht; dann erbarmt er sich. Demgemäß sagt Aristoteles (2 Rhet. 4.): „Der Zornige wird sich erbarmen, wenn viel geschehen ist; der Haßerfüllte niemals.“ Wird aber nach dem Grade der Spannung oder Intensität des Verlangens gefragt, dann schließt der Zorn in höherem Grade die Barmherzigkeit aus wie der Haß; weil die Zornesbewegung ungestümer ist wegen der Entflammung des entsprechenden cholerischen Humor im Innern, weshalb Prov. 27. gesagt wird: „Den Ungestüm des erregten Geistes, wer wird ihn tragen können!“ II. Der Zornige will einem anderen Übles als Rache und somit als Strafe. Die Strafe hat aber das an sich, daß sie dem Willen des zu Bestrafenden entgegen ist und ihn betrübt. Der Zornige also will, daß jener, dem seine Rache gilt, dies wahrnehme und Schmerz habe; daß dieser wisse, der ihm angethane Schaden bestehe auf Grund des Unrechts, welches an ihm, dem Zornigen, begangen worden. Darum kümmert sich nun der Haßerfüllte nicht. Er will nur das Üble als solches für seinen Feind. Es ist das aber nicht wahr, daß Jenes, worüber jemand trauert, deshalb schlechter sei. Denn die Ungerechtigkeit und Unmäßigkeit sind wohl Übel; weil man sie aber freiwillig thut, fühlt man sie nicht als Übel und ist darüber nicht traurig. (2 Rhet. 4.) III. Wenn die vielen Ursachen, die ein und dasselbe Wesen bilden, den nämlichen Charakter tragen, also sich gegenseitig stützen; dann bringen sie etwas Dauerhafteres hervor. Bisweilen aber gilt eine einzige Ursache mehr als viele andere. Der Haß nun kommt von einer beständigeren Ursache her wie der Zorn. Denn der Zorn kommt von einer gewissen Bewegung des Geistes wegen eines angethanen Unrechtes; der Haß aber rührt von einer Verfassung des Menschen, welcher gemäß er für sich nachteilig und verderblich hält das was er haßt. Und wie eine bloße Bewegung schneller vorübergeht als eine innere Verfassung oder ein Zustand, so geht der Zorn schneller vorüber als der Haß. Deshalb sagt Aristoteles (2 Rhet. 4.): „Der Haß ist unheilbarer wie der Zorn.“
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