Zweiter Artikel. Nicht der Wille allem ist Sitz oder Subjekt der Sünde.
a) Das Gegenteil scheint zu sagen: I. Augustin (l. c.): „Nur mit dem Willen wird gesündigt.“ II. Die Sünde ist ein gewisses Übel, das sich gegen die Vernunft richtet. Das Gute oder Böse aber, was sich auf die Vernunft bezieht, ist Gegenstand des Willens allein. Also der Wille allein ist Sitz der Sünde. III. Jede Sünde ist etwas Freiwilliges; „sonst ist eine Handlung keine Sünde,“ sagt Augustin. (3. de lib. arb. 18.) Die Thätigkeiten der anderen Kräfte sind somit nur etwas Freiwilliges, insofern letztere in Thätigkeit gesetzt werden vom Willen aus. Das aber genügt nicht, um Sitz der Sünde zu sein. Sonst wären dies auch die äußeren Glieder; wie die Hände, Füße, die ja auch bewegt werden vom Willen aus. Also nur der Wille ist Sitz der Sünde. Auf der anderen Seite ist die Sünde entgegengesetzt der Tugend. Sitz oder Subjekt von Tugenden aber sind auch die übrigen Seelenkräfte; und nicht allein der Wille. Also sind dieselben auch Sitz von Sünden und ist dies nicht der Wille allein.
b) Ich antworte, was Princip einer freiwilligen Thätigkeit ist, das ist Sitz der Sünde. Freiwillige Thätigkeiten aber sind nicht allein die des Willens selber, sondern auch die vom Willen angeordneten oder befohlenen. Also auch alle jene Vermögen, die von Natur aus geeignet sind, vom Willen in Thätigkeit gesetzt zu werden zu ihren Thätigkeiten hin oder von demselben unterdrückt zu werden in ihrer Thätigkeit, sind Sitz der Sünden.
c) I. Der Wille setzt immer an erster Stelle in Bewegung; vermittelst der anderen Vermögen also sündigt man, insoweit sie vom Willen in Thätigkeit gesetzt worden. II. „Gut“ und „böse“ gehören dem Willen an als die eigens seiner Natur entsprechenden Gegenstände. Die anderen Vermögen aber richten sich auf ein besonderes Gut oder ein besonderes Übel; und auf Grund dessen kann da Tugend sein und Laster oder Sünde, je nachdem sie teilhaben am Willen und an der Vernunft. III. Die Glieder des Körpers sind keine Principien von Thätigkeiten, sondern nur Werkzeuge dafür; sie stehen deshalb zur bewegenden Seele im Verhältnisse eines Sklaven, der nur bestimmt wird, der aber nichts selbständig wirkt oder bestimmt. Die niederen begehrenden Kräfte jedoch stehen zur Vernunft im Verhältnisse eines Freien, weil sie in gewisser Weise selbständig wirken und zugleich damit andererseits bestimmt werden; nach 1. Polit. 3. Und deshalb gehen die Thätigkeiten der äußeren Glieder in den äußeren Stoff über und bleiben da; wie z. B. wenn jemand den anderen totschlägt bei der Sünde des Mordes.
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