Vierter Artikel. Der thatsächliche Glaube oder ein Glaubensakt ist erfordert für die Rechtfertigung.
a) Dem steht entgegen: I. Wie durch den Glauben, so wird der Mensch gerechtfertigt durch manches Andere, z. B. durch die Furcht; nach Ekkli. 1.: „Die Furcht des Herrn treibt die Sünde aus; denn wer ohne Furcht ist, kann nicht gerechtfertigt werden.“ Ebenso wird der Mensch durch die Liebe gerechtfertigt, nach Luk. 7.: „Viele Sünden sind ihr nachgelassen, weil sie viel geliebt hat;“ — durch die Demut, nach Jakob 4.: „Gott widersteht den Hoffärtigen, den Demütigen giebt Er seine Gnade;“ — und durch Barmherzigkeit, nach Prov. 15.: „Durch Barmherzigkeit und Glauben werden die Sünden gereinigt.“ Also sind die benannten Tugendakte ebenso notwendig wie der Glaube. II. Nur weil durch den Glauben der Mensch Kenntnis hat von Gott, wird derselbe erfordert für die Rechtfertigung. Aber auch in anderer Weise kann der Mensch Kenntnis haben von Gott, wie z. B. kraft der natürlichen Kenntnis und kraft der Gabe der Weisheit. Also ist kein Glaubensakt erfordert für die Rechtfertigung. III. Der Glaubensartikel sind mannigfache. Also müßte, wenn ein Glaubensakt erfordert wäre zur Rechtfertigung des Sünders, der Mensch zuerst an alle Glaubensartikel denken; was unzulässig ist, da dies viel Zeit verlangte. Auf der anderen Seite sagt Paulus (Röm. 5,): „Gerechtfertigt also aus dem Glauben haben wir Frieden mit Gott.“
b) Ich antworte, die freie Willensbewegung werde erfordert zur Rechtfertigung des Sünders, insofern der vernünftige Geist von seiten Gottes in Thätigkeit gesetzt wird. Gott aber bewegt die Seele des Menschen, indem Er sie zu Sich selbst wendet, nach Ps. 84, 7. Die erste Zuwendung des Geistes zu Gott geschieht nun durch den Glauben, nach Hebr. 11.: „Der zu Gott herantritt, muß zuerst glauben, daß Gott ist.“ Also wird der Glaubensakt erfordert für die Rechtfertigung.
c) I. Der Glaubensakt ist nicht vollendet, wenn nicht die heilige Liebe die ihn bildende Form ist. Also ist zugleich mit dem Glaubensakt in der Rechtfertigung des Sünders ein Liebesakt. Die freie Willensbewegung zielt zudem dahin, daß sich der freie Wille Gott unterwirft. Also ist zugleich auch da ein Akt der kindlichen Furcht und der Demut. Denn der eine selbe freie Willensakt kann verschiedenen Tugenden angehören, je nachdem die eine befiehlt und die anderen folgen; der gleiche Akt nämlich kann auf verschiedene, zu einander in geregeltem Verhältnisse stehende Zwecke hin gerichtet werden. Die Barmherzigkeit aber ist mit Rücksicht auf die Rechtfertigung thätig entweder in der Weise der Genugthuung; und so folgt sie der Rechtfertigung; — oder als vorbereitend, inwieweit „die barmherzigen Barmherzigkeit erlangen;“ — oder als begleitend die Rechtfertigung zusammen mit den übrigen Tugenden, weil sie in der Nächstenliebe eingeschlossen erscheint. II. Die Gabe der Weisheit setzt den Glauben voraus. (Kap. 68, Art. 4 ad III.) Die natürliche Kenntnis aber kann dazu nichts nützen, daß man sich zu Gott als dem Gegenstande der übernatürlichen Seligkeit und als der Ursache der Rechtfertigung bekehrt. III. Nach Röm. 4, 5. „wird angerechnet werden jenem der an den glaubt, welcher den Sünder rechtfertigt, sein Glaube zur Gerechtigkeit gemäß dem Vorsatze der Gnade Gottes.“ Also wird ein Glaubensakt für die Rechtfertigung erfordert, der sich erstreckt auf Gott als denjenigen, welcher die Menschen rechtfertigt durch das Mysterium Christi.
