Zweiter Artikel. Die Trunkenheit ist eine Todsünde.
a) Dies scheint nicht. Denn: I. Augustin sagt (serm. 114.): „Die Trunkenheit ist Todsünde, wenn sie anhaltend vorkommt.“ Das „Anhaltende“ aber ist kein Umstand, der die Sünde zu einer anderen der Gattung nach macht und so bis ins Unendliche erschwert (I., II. Kap. 88, Art. 5), daß aus einer läßlichen eine Todsünde wird. Also ist sie auch als anhaltende keine Todsünde. II. „So oft jemand über die Notdurft hinaus in Speise und Trank etwas nimmt, gehört dies zu den kleinen Sünden;“ sagt ebenfalls Augustin (l. c.). III. Keine Todsünde soll man thun um der Gesundheit willen. Manche aber benutzen die Trunkenheit als Medizin, damit sie später sich erbrechen. Also ist sie keine Todsünde. Auf der anderen Seite heißt es in den canon. A.postol. (can. 41 et 71; 1. tom. Concil.): „Ein Bischof oder Priester oder Diakon, der dem Würfelspiele oder der Trunkenheit ergeben ist, soll damit aufhören oder abgesetzt werden; ist es ein Subdiakon oder Lektor oder Kantor, so soll er damit aufhören oder zur heiligen Kommunion nicht zugelassen werden; dasselbe sei bei einem Laien der Fall.“ Solche Strafen aber werden nur auf Grund einer Todsünde verhängt.
b) Ich antworte, die Sünde der Trunkenheit bestehe in unmäßigem Gebrauche und in unmäßiger Begierde nach Wein. Nun kann 1. jemand es nicht wissen, daß im Trinken das Maß überschritten sei und daß das betreffende Getränk berauschen könne; in diesem Falle kann die Trunkenheit ohne jegliche Sünde sein. Es kann 2. jemand wohl merken, er habe genug getrunken, aber der Meinung sein, das Getränk könne keine berauschende Wirkung haben; und so wäre die Trunkenheit eine läßliche Sünde. Weiß aber 3. jemand, er habe genug getrunken und daß das Getränk berausche, will aber trotzdem lieber trunken werden wie vom Trinken abstehen, so ist dies eine Todsünde; und ein solcher heißt im eigentlichen Sinne an und für sich ein trunkener; denn die Sünden erhalten ihren Wesenscharakter von dem, was man an und für sich beabsichtigt hat, und nicht von dem, was absichtslos zutrifft. Es ist dies zudem eine Todsünde; denn wissend und wollend beraubt sich jemand des Gebrauches der Vernunft, kraft deren allein er Gutes thun und Schlechtes vermeiden kann; er überläßt sich also freiwillig der Gefahr, Sünden zu begehen. Ambrosius nämlich sagt (1.de Abrah. c. 6.): „Wir sagen, die Trunkenheit solle vermieden werden; denn durch sie geschieht es, daß wir vor Sünden uns nicht hüten können. Was wir nüchtern von uns weisen, das thun wir trunken.“ An und für sich genommen also ist die Trunkenheit Todsünde.
c) I. Das „Anhaltende“ macht die Trunkenheit zur Todsünde; nicht allein wegen der Vervielfältigung der verschiedenen Akte, sondern weil, wenn der Mensch oft trunken wird, man nicht anders sagen kann, als daß er es wissend und wollend thut; da er doch so oft die Schwere des Weines fühlt und damit auch seine eigene Neigung zur Trunkenheit. II. Mehr als nötig essen und trinken, ist nicht immer schwere Sünde und gehört zur Gaumenlust. Trinken aber bis zur Betrunkenheit und zwar wissentlich, ist Todsünde. Augustin sagt deshalb (10. Conf. 31.): „Die Trunkenheit ist fern von mir; habe Erbarmen, daß sie mir nicht nahe; zu viel getrunken und gegessen zu haben, ist Deinem Knechte manchmal begegnet.“ III. Speise und Trank muß nach der Gesundheit geregelt werden. Manchmal nun ist, was für den gesunden mäßig ist, für den kranken zu viel; und umgekehrt. Wenn also auf ärztliche Weisung jemand viel ißt und trinkt, um sich zu erbrechen, so ist da Speise und Trank nicht als Übermaß anzusehen. Jedoch um das Erbrechen zu veranlassen ist nicht erfordert, daß das Getränk berauschend sei; denn ein Trunk lauen Wassers ist dazu hinreichend. Also wird durch diesen Grund niemand von der Trunkenheit entschuldigt.
