Erster Artikel. Die Trunkenheit ist eine Sünde.
a) Dem widerspricht Folgendes: I. Jede Sünde hat zu ihrem äußersten Gegensatze eine andere Sünde; wie z. B. die Furchtsamkeit der verwegenen Kühnheit, der Kleinmut dem freventlichen Vermessen entgegengesetzt ist. Ein solcher Gegensatz zur Trunkenheit aber besteht nicht. II. Keiner will trunken sein. Nur aber Freiwilliges ist Sünde. III. Wäre die Trunkenheit eine Sünde, so sündigten auch jene, welche die Ursache sind, die also einladen, aneifern; was zu hart erscheint. IV. Für jede Sünde giebt es eine Besserung oder Strafe; jedoch nicht für die Trunkenheit. Denn Gregor sagt: „Sie müssen mit Nachsicht sich selbst überlassen werden; damit sie nicht schlechter werden.“ Auf der anderen Seite heißt es Rom. 13.: „Nicht in Gastgelagen und Betrunkenheit.“
b) Ich antworte, die Trunkenheit bezeichne einmal den Mangel selber im Menschen, infolgedessen es bei ihm vorkommt, daß er seiner Vernunft nicht mehr mächtig bleibt; da ist keine Schuld, sondern vielmehr Strafe. Dann bezeichnet die Trunkenheit das Thätigsein oder den Akt, wodurch jemand solchen Mangel erfährt. Und zwar kann ein solcher Akt einen derartigen Mangel verursachen: 1. auf Grund der Schwere des Weins, ohne dah irgend eine Absicht des betreffenden mitbeteiligt ist; und so kann die Trunkenheit ebenfalls sündlos sein, zumal wenn keine Nachlässigkeit des trinkenden vorliegt, wie es bei Noe (Gen. 9.) erklärt wird; — 2. auf Grund ungeregelten Begehrens und des zu reichlichen gewohnheitsmäßigen Gebrauchs des Weines; und so ist die Trunkenheit Sünde, ist enthalten als Gattung in der „Art“ der Gaumenlust und wird verboten vom Apostel.
c) I. Nach 3 Ethic. 11. ist die Unempfindlichkeit oder Stumpfsinnigkeit als Gegensatz zur Mäßigkeit höchst selten; und deshalb hat sie selbst und alle ihre Gattungen keinen besonderen Namen. So ist auch das der Trunkenheit entgegengesetzte Laster nicht benannt. Wer jedoch bis zu dem Punkte des Weines sich enthalten wollte, daß seine Natur schwer darunter litte, würde sündigen. II. Der ungeregelte Gebrauch von Wein ist Sünde; nicht eigentlich das Ergebnis davon: die Trunkenheit. III. Wie jener nicht sündigt, der berauscht wird, weil er die Schwere des Weines nicht kannte; so auch jener nicht, der ihn zum Trinken einladet, wenn er die natürliche Beschaffenheit des trinkenden nicht kennt. Sonst sündigen beide. IV. Die Züchtigung des Sünders muß man unterlassen, wenn man mit Grund fürchtet, derselbe werde dadurch schlechter werden. (Vgl. Kap. 33, Art. 6.) Deshalb sagt Augustin (ep. 22.): „Nicht durch rauhe Behandlung, soweit ich dies kenne, nicht durch Härte, nicht befehlend kann man dies entfernen; sondern vielmehr mit Belehren als mit Befehlen, vielmehr mit Mahnen wie mit Drohen; — denn so muß man handeln, wenn viele gesündigt haben; man kann Strenge anwenden, wenn es sich um die Sünden weniger handelt.“
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