Zweiter Artikel. Die Demut besteht ihrem Wesen nach im Begehren und beschäftigt sich mit dessen Leitung.
a) Dies scheint nicht. Denn: I. Die Demut steht im Gegensatze zum Stolze. Der Stolz aber besteht meist in der Erkenntnis. Denn, sagt Gregor (34. moral. 18.), „der Stolz dehnt sich außen über den Körper aus und wird zuerst durch die Augen angezeigt;“ wonach es Ps. 130. heißt: „Mein Herz hat sich nicht erhoben, meine Augen waren nicht zur Höhe gerichtet.“ Die Augen aber deuten auf die Erkenntnis. Also beschäftigt sich auch die Demut mit der Erkenntnis vielmehr als mit dem Begehren. II. „Die Demut ist fast die ganze christliche Lehre.“ (Aug. de virginit. 31.) Nichts also, was in der christlichen Lehre sich findet, widerstreitet der Demut. In der christlichen Lehre aber werden wir ermahnt, „Besserem nachzueifern.“ (1. Kor. 12.) Also soll die Demut nicht das Begehren nach Größerem, Schwerem unterdrücken; sondern vielmehr die Wertschätzung desselben, die Meinung nämlich wir hätten Großes gethan. IIl. Ein und dieselbe Tugend zügelt mit Rücksicht auf das Überflüssige im Begehren und festigt den Geist mit Rücksicht auf das Überflüssige im Abstehen; wie die nämliche Stärke die Kühnheit zügelt und den Geist festigt gegen Todesgefahr. Die Prachtliebe aber festigt den Geist gegen die Schwierigkeiten im Verfolgen großer Dinge. Sollte also die Demut das Begehren nach Großem zügeln, so würde sie mit der Prachtliebe zusammenfallen. Also ist die Demut vielmehr auf die Wertschätzung gerichtet d. h. mehr auf die Kenntnis wie auf das Begehren. IV. Andronicus weist der Demut die Regelung des äußeren Aufwandes in Kleidern und anderen solchen Dingen an. Also geht sie nicht auf das Begehren. Auf der anderen Seite sagt Augustin (hom. ult, inter 50. c. 1.): „Demütig ist, der da es auswählt, vielmehr erniedrigt zu werden im Hause Gottes wie in den Häusern der Sünder zu wohnen.“ Wählen aber gehört dem Begehren an.
b) Ich antworte, der Demut Sache sei es, daß jemand sich selber erniedrigt, daß er also nicht nach zu Hohem strebe. Dazu aber ist erfordert, daß er erkenne, worin der betreffende Gegenstand im Verhältnisse zu ihm zu hoch stehe. Die Kenntnis des eigenen Mangels also gehört zur Demut, wie die leitende Regel des Begehrens. Das Wesen der Demut selber aber ist im Begehren. Und somit ist die Demut am besten und so recht eigentlich die leitende und mäßigende Regel des Begehrens.
c) I. In den Augen ist ein Zeichen des Hochmutes, insoweit ihr Blick Selbstzufriedenheit ein- und Ehrfurcht vor anderen ausschließt. Die furchtsamen und schamhaften senken den Blick vielmehr, als ob sie nicht wagten, mit anderen sich zu vergleichen. Der stolze erhebt ihn frech. Daraus folgt aber nicht, daß das Wesen der Demut die Kenntnis ist. II. Im Vertrauen auf die eigenen Kräfte nach Hohem streben, widerstreitet der Demut. Im Vertrauen auf Gottes Macht aber nach Hohem streben, ist nicht gegen die Demut. Vielmehr ehrt jemand Gott dadurch in höherem Grade, weil er sich durch die Demut Ihm unterwirft. Deshalb sagt Augustin: „Etwas Anderes ist es, sich zu Gott erheben; und etwas Anderes, sich gegen Ihn erheben. Wer sich vor Gott niederwirft, den erhebt Gott; wer sich gegen Gott erhebt, den wirft Er nieder.“ III. Die Stärke festigt aus dem nämlichen Grunde gegen Gefahren wie sie die Kühnheit zügelt; denn in beiden Fällen soll der Mensch das vernunftgemäße Gute den Todesgefahren aussetzen. Der Grund aber, um den Geist gegen die Verzweiflung zu festigen, ist die Erreichung des eigenen Guten; damit nicht der Mensch durch Verzweiflung sich des Guten unwürdig mache, was ihm zukam. Dagegen ist der Grund, um die Vermessenheit der Hoffnung zu zügeln, vorzugsweise die Ehrfurcht vor Gott, welche bewirkt, daß der Mensch sich nicht mehr zuschreibe als ihm gemäß der von Gott angewiesenen Stufe zukommt. Bei der Stärke also ist der Grund für beide Wirkungen derselbe; nicht aber bei der Hoffnung und Verzweiflung. Deshalb schließt die Demut zumal die Unterwerfung des Geistes unter Gott ein; und darum teilt Augustin, der unter der Armut im Geiste die Demut versteht, dieser die Gabe der Furcht Gottes zu, kraft deren der Mensch Gott ehrt. Und sonach verhält sich die Stärke anders zur Kühnheit wie die Demut zur Hoffnung. Denn die Stärke bedient sich der Kühnheit weit mehr als daß sie dieselbe unterdrücke, so daß ihr das Übermaß ähnlicher ist wie der Mangel. Die Demut aber unterdrückt vielmehr das Vertrauen auf sich selbst als daß sie sich dessen bediene, so daß ihr mehr das Übermaß widerstreitet wie der Mangel. IV. Der Überfluß in Kleidern etc. pflegt zu einer gewissen Prahlerei zu führen, welche von der Demut unterdrückt wird; und somit beschäftigt sich die Demut an zweiter Stelle mit dem Äußeren, inwieweit dieses ein Zeichen des inneren Begehrens ist.
