Dritter Artikel. Der Mensch soll sich in Demut allen unterwerfen.
a) Dagegen spricht Folgendes: I. Die Demut begreift in sich die Unterwürfigkeit unter Gott. Was aber Gott gebührt, das sollen wir nicht den Menschen darbieten. Also Menschen sollen wir uns nicht in Demut unterwerfen. II. Augustin sagt (de nat. et grat. 34.): „Die Demut muß immer auf der Wahrheit beruhen, nicht auf dem Falschen.“ Manche aber sind in hoher Stellung; dürfen also sich nicht, ohne der Wahrheit untreu zu werden, anderen unterwerfen. III. Wollte sich einer ohne Ausnahme allen unterwerfen, so könnte dies manchem unter diesen zum Verderben gereichen, der daraufhin stolz würde; wie Augustin in seiner Regel sagt: „Damit nicht, wenn die Demut zu viel gewahrt wird, man die Autorität bricht, welche zum Regieren erfordert ist.“ Der Mensch muß sich also nicht kraft der Demut allen unterwerfen. Auf der anderen Seite heißt es Phil. 2.: „In Demut sollt ihr wechselseitig euch als Obere ansehen.“
b) Ich antworte, im Menschen müsse beachtet werden das, was von Gott kommt; und das, was des Menschen ist. Vom Menschen selber kommt alles Mangelhafte; von Gott Alles, was vollkommen ist; nach Ose. 13.: „Dein Verderben ist aus dir, Israel; nur von mir kommt dir Heil.“ Die Demut nun berücksichtigt recht eigentlich, daß der Mensch sich Gott unterwirft. Und deshalb soll jeder Mensch das was sein (des Menschen) ist, unterwerfen dem, was Gottes ist im anderen. Nicht aber verlangt dies die Demut, daß jemand das, was in ihm Gottes ist, unterwirft dem, was Gottes ist im anderen. Denn jene, denen Gottes Gaben mitgeteilt sind, erkennen, daß sie solche besitzen, nach 1. Kor. 2.: „Damit wir wissen, welche Gaben uns von Gott verliehen sind.“ Deshalb können sie, ohne der Demut zu schaden, die ihnen verliehenen Gaben vorziehen den Gaben Gottes in anderen, nach Ephes. 3.: „Den anderen Geschlechtern ist nicht bekannt gewesen, wie jetzt das Geheimnis offenbart worden den heiligen Aposteln.“ Ähnlich fordert nicht die Demut, daß jemand das was sein ist unterwerfe dem, was des anderen ist im anderen. Sonst müßte jeder meinen, er sei ein größerer Sünder wie der andere, da doch Paulus sagt (Gal. 2.): „Wir sind Juden von Natur (Geburt) und nicht sind wir Sünder wie die Heiden.“ Jedoch kann jeder meinen, es sei etwas Gutes im anderen, was er nicht hat; oder es sei etwas Böses in ihm, was der andere nicht hat; und danach kann er sich ihm kraft der Demut unterwerfen.
c) I. Wir müssen das, was von Gott kommt, in jedem Menschen und überall verehren, wenn auch nicht mit jener Art Verehrung, die wir Gott selber darbringen. „Um Gottes willen sollen wir also jeder menschlichen Kreatur Unterthan sein.“ (1. Petr. 2.) Die Anbetung aber schulden wir Gott allein. II. Wenn wir das, was im Nächsten Gottes ist, vorziehen dem, was in uns von uns selber kommt, können wir uns nichts Falschem aussetzen. Deshalb sagt Augustin (83 Qq. 71.) zu Phil. 2. (Superiores): „Dies müssen wir nicht so annehmen, als ob wir uns nur in Gedanken vorstellten, es sei im Nächsten etwas zu schätzen; sondern wahrhaft mögen wir denken, daß im Nächsten wirklich etwas Verborgenes sei, wodurch er besser ist wie wir; mag auch das Gute in uns, wodurch wir vor den Menschen höher stehen als er, nicht verborgen sein.“ III. Der Mensch kann sich innerlich dem anderen unterwerfen, ohne daß er diesem äußerlich Gelegenheit giebt, in seinem Heile Nachteil zu leiden; wie Augustin sagt in seiner Regel: „In Gottesfurcht sei innerlich der Vorgesetzte zu eueren Füßen hingestreckt.“ In den äußeren Thätigkeiten muß man ein gewisses Maß beobachten wie auch bei den anderen Tugenden; damit man nicht dem Heile des Nächsten schade. Thut aber jemand seine Sache in gebührender Weise und der andere nimmt daran Gelegenheit zur Sünde, so wird dies dem demütigen nicht angerechnet; denn er giebt kein Ärgernis, der andere nimmt es.
