Fünfter Artikel. Der Stolz ist Todsünde.
a) Dies scheint nicht. Denn: I. Zu Ps. 7. (Domine … si feci istud) bemerkt Augustin: „nämlich die allgemeine Sünde, die da ist der Stolz.“ Wäre also der Stolz schwere Sünde, so wäre jede Sünde eine schwere. II. Der Stolz steht nicht im Gegensatze zur Liebe; denn der Vorrang, welchen jemand ungeregelterweise kraft des Stolzes begehrt, ist nicht immer im Gegensatze zur Ehre Gottes oder zum Nutzen des Nächsten. Also ist der Stolz keine Todsünde. III. Jede Todsünde steht der Tugend gegenüber. Der Stolz aber entspringt vielmehr aus der Tugend. Denn „bisweilen wird der Mensch aufgeblasen infolge überaus hoher und himmlischer Tugenden.“ (34. moral. 18.) Auf der anderen Seite sagt Gregor (l. c.): „Das augenscheinlichste Zeichen der verworfenen ist der Stolz und der auserwählten umgekehrt die Demut.“ Also ist der Stolz eine Todsünde, da die Todsünde allein in die Hölle stürzt.
b) Ich antworte, der Stolz sei entgegengesetzt der Demut. Die Demutbesteht aber so recht eigentlich in der Unterwürfigkeit des Geistes unter Gott. Also besteht der Stolz darin, daß sich jemand erhebt über das, was ihm gemäß der göttlichen Richtschnur und Regel von vornherein gebührt; weshalb der Apostel sagt (2. Kor. 10.): „Wir aber rühmen uns nicht bis ins Endlose, sondern gemäß dem von Gott uns vorgeschriebenen Maße.“ Und darum heißt es Ekkli. 10.: „Der Anfang des Stolzes ist das Abfallen von Gott;“ insoweit die Wurzel des Stolzes darin liegt daß jemand sich nicht ganz der von Gott vorgesetzten Richtschnur unterwirft. Gott aber sich nicht unterwerfen heißt sich von Gott abwenden; und das hat den Charakter der Todsünde von vornherein. Wie aber auch in anderen Sünden, die ihrer „Art“ nach schwere sind, einige Thätigkeiten oder Bewegungen es giebt, die wegen ihrer Unvollkommenheit nur als läßliche Sünden bezeichnet werden können, weil sie nämlich dem Urteile der Vernunft zuvorkommen und somit bei dieser keine Zustimmung gefunden haben; so ist dies auch beim Stolze der Fall.
c) I. Der Stolz ist allgemeine Sünde, nur insoweit andere Sünden aus ihm entstehen; nicht auf Grund seines Wesens. Nur also wenn andere Sünden aus vollendetem Stolze entspringen, der da Todsünde ist, sind sie ebenfalls Todsünde. II. Der Stolz ist immer der Liebe Gottes entgegen, denn er unterwirft sich nicht der göttlichen Richtschnur und Regel. Manchmal aber ist er auch gegen die Nächstenliebe, wenn nämlich jemand sich dem anderen vorzieht oder ihm nicht untergeben sein will. III. Der Stolz kommt nicht aus den Tugenden, als ob diese ihrem Wesenscharakter nach denselben hervorbrächten; sondern weil jemand an den Tugenden Gelegenheit nimmt, hochmütig zu werden, so daß manche selbst auf ihre Demut stolz sind.
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