Siebenter Artikel. In den drei genannten Gelübden besteht die Vollkommenheit des Ordensstandes.
a) Dies wird geleugnet. Denn: I. Die Vollkommenheit des christlichen Lebens besteht mehr in Innerlichem wie im Äußerlichen; „das Reich Gottes nämlich ist nicht Speise und Trank; sondern Friede, Gerechtigkeit im heiligen Geiste.“ Also muß die Vollkommenheit des Ordensstandes vielmehr bestehen in innerlichen Übungen, wie Betrachtung, Liebe Gottes und des Nächsten, als in Äußerlichem, wie Armut, Keuschheit, Gehorsam. II. Diese drei Dinge sind Gelübde der Religiosen, insoweit sie eine gewisse Übung enthalten, um zur Vollkommenheit zu gelangen. Aber auch Fasten, Nachtwachen etc. sind dergleichen Übungen. Also gehören sie mit dem gleichen Rechte zum Ordensstande. III. Das Gelübde des Gehorsams umfaßt Alles, was der Obere befiehlt. Also schließt es die zwei anderen Gelübde ein und genügt für sich allein. IV. Die Ehren gehören auch zu den äußeren Gütern; also ebensogut wie aus äußeren Besitz müßten die Ordensleute auch auf alle Ehren verzichten. Auf der anderen Seite „sind die Bewahrung der Keuschheit und der Verzicht auf das Eigentum mit der Mönchsregel verknüpft,“ sagt Extr. de Stat. monach. cap. Cum ad.
b) Ich antworte, der Ordensstand sei 1. eine Übung auf dem Wege zur Vollkommenheit; 2. eine Beruhigung der Seele, nach 1. Kor. 7.: „Ich will, daß ihr ohne Sorge seid;“ 3. ein volles, allumfassendes Opfer. Deshalb ist 1. erforderlich, daß der Mensch von sich entfernt, was ihn hindern kann, daß sein Herz nicht ganz auf Gott sich richte, worin die Vollendung der heiligen Liebe besteht. Das ist aber
a) die Begier nach äußerem Gute, welche vom Gelübde der Armut entfernt wird;
b) die Begier nach sinnlichem Ergötzen, worin die geschlechtliche Freude an der Spitze steht; hiegegen richtet sich das Gelübde der Keuschheit;
c) die Regellosigkeit in den Willensneigungen, welche durch das Gelübde des Gehorsams ausgeschlossen wird. 2. Gegen die Unruhe des Herzens ist erforderlich,
a) die Sorgen um die Verwaltung der äußerlichen Dinge zu dämpfen; das geschieht durch die freiwillige Armut;
b) die Kümmernisse, die mit Leitung einer Familie verbunden sind, abzuschneiden, dies thut das Gelübde der Keuschheit;
c) die Bestimmung über die eigenen Handlungen dem Oberen zu übergeben, was im Gelübde des Gehorsams eingeschlossen ist. 3. Ein vollumfassendes Opfer bringt der Mensch Gott dar, wenn er darbringt, was er hat, was er dem Körper nach ist, und seine eigene Seele; also wenn er die genannten drei Gelübde ablegt, zumal er durch den Gehorsam alle seine Kräfte, Vermögen und Zustände der Verfügung des Oberen um Gottes willen überläßt.
c) I. Die inneren Akte der Tugenden sind die Vollendung der heiligen Liebe selber, welche nach 1. Kor. 13. (die Liebe ist gütig, geduldig etc.) die Mutter aller Tugenden ist. Dies ist der Zweck der Gelübde im Ordensstande; der Zweck fällt aber nie unter ein Gelübde. II. Alles Andere bezieht sich im Ordensstande auf diese drei Gelübde: Betteln, körperliche Arbeit u. dgl. bezieht sich auf die Armut; — Nachtwachen, Geißeln, Fasten auf die Keuschheit; — das Gebet, die Lesung, Krankenbesuch und Ähnliches, was die Gottes- und Nächstenliebe zum Zwecke hat, bezieht sich auf den Gehorsam, welcher über den Willen und die ihm unterstehenden Kräfte verfügt und sie zum Zwecke der Liebe hinlenkt. Die Bestimmung der Kleidung bezieht sich auf alle drei Gelübde wie ein Zeichen der klösterlichen Weihe; und wird solche deshalb gesegnet oder gegeben zugleich mit der Gelübdeablegung. III. Durch den Gehorsam bringt der Mensch seinen Willen dar. Und obgleich demselben alle anderen Kräfte unterstehen, so doch unmittelbarer und in mehr besonderer Weise die menschlichen Thätigkeiten; da die menschlichen Leidenschaften auch dem sinnlichen Teile angehören. Um also den Leidenschaften nach dem Ergötzlichen und den äußeren Gütern hin als Hindernissen der Vollkommenheit mehr gegenüberzutreten, sind die Gelübde der Keuschheit und der Armut da; und zur Lenkung der eigenen Thätigkeiten, soweit dies der Stand der Vollkommenheit verlangt, das Gelübde des Gehorsams. IV. Die Ehre gebührt eigentlich nur der Tugend. (4 Ethic. 3.) Weil aber die äußeren Güter zu einigen Tugendwerken als Werkzeuge dienen (wie zu den Werken der Nächstenliebe); deshalb wird auch auf Grund ihrer Ehre gespendet, zumal vom gewöhnlichen Volke, was solche Güter am leichtesten wahrnimmt. Der Ehre also, welche Gott und den Heiligen wegen der Tugend gespendet wird, nach Ps. 138.: „Mir sind überaus geehrt deine Freunde, o Gott,“ kann der Ordensmann nicht entsagen, welcher ja zur Vollkommenheit der Tugend strebt. Der äußeren Ehre aber entsagt die Ordensperson schon damit, daß sie der Welt entsagt und das weltliche Leben verläßt; es bedarf da keines eigenen Gelübdes.
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