Zweiter Artikel. Der Sohn Gottes hat nicht die menschliche Person angenommen.
a) Dies scheint Er aber gethan zu haben. Denn: I. Damascenus (3. de orth. fide 11.) sagt, „der Sohn Gottes hätte die menschliche Natur angenommen in atomo,“ also als eine einzelne. Der Einzelbestand aber in der vernünftigen Natur ist nach Boëtius: „Person“ (de duab. nat.). Also hat Christus die menschliche Person angenommen. II. „Der Sohn Gottes nahm an, was Er in unsere Natur gepflanzt hat,“ sagt der nämliche. Also nahm Er die menschliche Person an, die Er sicher doch gepflanzt hat. III. Nichts außer dem, was bereits ist, wird aufgezehrt. Nach Innocenz III. aber (decretalis quaedam) „hat die Person Gottes aufgezehrt die Person des Menschen.“ Auf der anderen Seite schreibt Augustin (dee fide ad Petr. 2.): „Die menschliche Natur hat Gott angenommen, nicht die Person.“
b) Ich antworte; „Annehmen“ wolle sagen „An-sich-nehmen“. Was also an sich genommen wird, das muß die Voraussetzung sein für das Annehmen; wie das Bewegliche vorausgesetzt wird der Bewegung selber. Die Person bildet aber nicht die Voraussetzung für das Annehmen, sondern vielmehr dessen Abschluß, wie oben gesagt. Denn wäre sie mit vorausgesetzt, so würde sie durch das Annehmen zerstört und so vergebens angenommen; oder sie bliebe nach dem Annehmen, und so wären zwei Personen: die eine annehmend und die andere angenommen, was irrtümlich ist. Also in keiner Weise hat der Sohn Gottes die menschliche Person angenommen.
c) I. Der Sohn Gottes hat die menschliche Natur angenommen in atomo d. h. im einzelnen, will heißen im ungeschaffenen einzelnen Fürsichbestehen, was da ist die Person des Sohnes Gottes. II. Der angenommenen Natur mangelt nicht die eigene Persönlichkeit infolge eines Fehlers, der die Vollendung der menschlichen Natur beträfe; sondern wegen der Hinzufügung von etwas, was über die menschliche Natur hervorragt, wegen der persönlichen Einigung nämlich mit Gott. III. Aufzehren will dort nicht heißen: Zerstören, sondern ist ein Hindern dessen, was anders sein könnte. Die göttliche Person nämlich durch ihr Hinzutreten hinderte es, daß die menschliche Natur eine eigene Persönlichkeit hätte; und insoweit „zehrte sie die menschliche Person auf“.
