Fünfter Artikel. Dieses eingegossene Wissen war in Christo in der Weise eines Zustandes.
a) Dem wird widersprochen. Denn: I. Thatsächlich erkennen ist vollendeter wie gemäß einem Zustande erkennen. Also hat Christus immer Alles thatsächlich gewußt, im Akte. II. Der Zustand hat zum Zwecke das Thätigsein. Also zwecklos wäre eine zuständliche Wissenschaft, die nie thatsächlich würde. Christi Wissenschaft nun erstreckte sich auf Alles. Somit konnte Er in der Weise thatsächlich Alles erkennen, daß Er an das Eine nach dem Anderen dachte; denn Endloses kann man nicht Eines nach dem Anderen aufzählen, sondern höchstens, wie Kap. 10, Art. 2. gesagt, in einer verbindenden Einheit erschöpfend erkennen. Also wäre ein Zustand des Wissens in Christo überflüssig gewesen. Sonach hatte Er immer in Sich thatsächliches Wissen. III. Ein Zustand ist die Vollendung des betreffenden Wesens. Hätte also Christi Seele Wissen gehabt in der Weise eines Zustandes, so wäre etwas Geschaffenes vollendeter gewesen wie die Seele Christi; denn ein solcher Zustand hätte diese Seele vollendet. Auf der anderen Seite war das Wissen Christi gleichwie seine Seele ein und derselben Gattung wie das unsrige; also bestand es da in der Weise eines Zustandes.
b) Ich antworte; die Beschaffenheit des Seins der Wissenschaft in Christo war entsprechend der aufnehmenden und empfangenden Natur oder dem Subjekte. Dies ist nun die natürliche Art und Weise der menschlichen Seele, daß sie zuweilen thatsächlich erkennt und zuweilen nur dem Vermögen nach. Zwischen dem reinen Vermögen aber und dem vollständigen Thätigsein bildet die Vermittlung ein Zustand; und das Vermittelnde gehört demselben Seinsbereiche an wie die äußersten Endpunkte. Also ist es der menschlichen Seele naturgemäß entsprechend, daß das Wissen in ihr in der Weise eines Zustandes ist. Und so war es auch in Christo, daß Er der Ihm eingegossenen Wissenschaft wie eines Zustandes sich bedienen konnte wenn Er wollte.
c) I. In Christo war 1. ein Wissen, welches alles natürliche Maß überstieg, und dieses war in Ihm im höchsten Grade; nämlich jenes, womit Er Gottes Wesen schaute. Dieses Wissen war immer ein thatsächliches in Ihm und nie in der Weise eines Zustandes. Sodann war 2. ein Wissen in Ihm, welches den Verhältnissen der menschlichen Natur sich anbequemte, welchem gemäß Er erkannte vermittelst der seiner Seele eingeprägten Ideen. Dieses Wissen war nicht schlechthin im höchsten Grade der Vollendung, sondern entsprechend den Seinsverhältnissen der menschlichen. Natur; und dieses Wissen, von dem wir jetzt sprechen, war in Ihm nicht immer thatsächliche Kenntnis, sondern in der Weise eines Zustandes. II. Der Zustand wird zu etwas Thatsächlichem durch die Anordnung des Willens; denn das ist ein Zustand, wenn man dessen sich bedienen kann, so oft man will. Der Wille aber ist an sich von Natur unbestimmt und kann auf endlos viele einzelne Güter hin sich bestimmen. Dies ist aber nicht zwecklos, mag auch der Wille sich nicht thatsächlich auf alle diese einzelnen Güter sich richten; wenn er nur danach strebt, was im einzelnen Falle nach Zeit und Ort ihm zukömmlich ist. Aus diesem Grunde ist ein Zustand nicht unnütz, wenn auch nicht Alles zu etwas Thatsächlichem wird, was in ihm enthalten ist; wenn er nur immer bethätigt wird gemäß dem gebührenden Zwecke des Willens nach Zeit und Umständen. III. „Gut“ kann etwas sein 1. schlechthin, simpliciter, nämlich insoweit es ähnlich wie das Sein Substanz ist und somit im Sein fürsichbesteht; — 2. in gewisser Beziehung, secundum quid, insoweit es ähnlich wie das entsprechende Sein zur Substanz hinzutritt als Accidens oder Eigenschaft. In letzterem Falle ist da keine Güte, als ob diese Eigenschaft selber gut wäre, sondern weil die Substanz, von der sie als vom Subjekte getragen wird, gut ist und Sein hat. So also ist die Wissenschaft Christi als ein zur Seele hinzutretender Zustand nicht schlechthin besser und würdiger wie die Seele Christi, sondern nach einer gewissen Seite hin; da ja die ganze Güte eines solchen Zustandes zurückfällt auf die Güte des tragenden Subjekts.
