Zweiter Artikel. Christus als Mensch ist vorherbestimmt, Sohn Gottes zu sein.
a) Dieser Satz ist falsch. Denn: I. Das ist ein jeder zur gesetzten Zeit, wozu er vorherbestimmt worden. Ist also der erwähnte Satz richtig, so ist Christus als Mensch Sohn Gottes. II. Was Christo als Menschen zukommt, das kommt allen Menschen zu. Wäre also der genannte Satz richtig, so folgte, daß alle Menschen vorherbestimmt sind, Sohn Gottes zu sein. III. Dies wird von Ewigkeit her vorherbestimmt, was einmal in der Zeit geschehen soll. Nun ist dieser Satz mehr wahr: „Der Sohn Gottes ist Mensch geworden“ wie der Satz: „Der Mensch ist Sohn Gottes geworden.“ Also ist dieser Satz mehr wahr: „Christus als Sohn Gottes ist vorherbestimmt, Mensch zu sein,“ wie der andere: „Christus als Mensch ist vorherbestimmt, Sohn Gottes zu sein.“ Auf der anderen Seite sagt Augustin (de praed. Sanctor. 15.): „Wir sagen, der Herr der Glorie selber, insofern der Mensch Sohn Gottes geworden ist, sei vorherbestimmt.“
b) Ich antworte; wird die ewige Vorherbestimmung selber erwogen, so ist darin eingeschlossen ein gewisses „vorher“ mit Rücksicht auf das Vorherbestimmte. Wird sie erwogen mit Rücksicht auf die Wirkung in der Zeit, welche Wirkung eine unverdiente Gabe Gottes ist, so ist auch hier hervorzuheben, daß sie nur auf die menschliche Natur in Christo geht. Denn die menschliche Natur war nicht immer mit dem „Worte“ geeinigt; und ihr ist es deshalb durch die Gnade verliehen, daß sie mit dem Sohne Gottes in Person verbunden wurde. Also nur mit Rücksicht auf die menschliche Natur kommt es Christo zu, vorherbestimmt zu sein. Deshalb schreibt Augustin (l. c.): „Vorherbestimmt werden, ist diese so große und so erhabene Erhöhung, daß es nicht möglich ist, sie höher zu erheben.“ Von dem aber sagen wir, es komme jemandem als Menschen zu, was ihm zukommt auf Grund seiner menschlichen Natur. Und deshalb ist der fragliche Satz richtig.
c) I. Dieses „als Mensch“ kann in doppelter Weise auf die Thätigkeit bezogen werden, welche im Participium „vorherbestimmt“ enthalten ist: 1. Von der Seite dessen her, was materiell oder inhaltlich unter die Vorherbestimmung fällt, so daß der Sinn wäre, es sei vorherbestimmt worden, daß Christus als Mensch Sohn Gottes wäre; — und das ist falsch; — 2. kann es bezogen werden auf den eigentlichen Wesenscharakter der bezeich neten Thätigkeit, soweit nämlich die Vorherbestimmung in sich einschließt ein „vorher“ und ein unverdientes Geschenk; und so kommt sie Christo auf Grund seiner menschlichen Natur zu. II. Die menschliche Natur kann 1. Ursache von etwas sein; wie davon daß Sotrates lachen kann, die menschliche Natur die Ursache ist; und dies findet sich in allen Menschen und so kommt die Vorherbestimmung Christo als Menschen nicht zu. Es kann 2. der menschlichen Natur etwas zukommen, insoweit sie dessen fähig ist, es in sich aufnehmen kann; und sowird es hier gebraucht, denn die Vorherbestimmung bezieht sich auf die Erhöhung der menschlichen Natur. III. Augustin (I. c.) antwortet: „Dies ist das einzig dastehende unaussprechliche Annehmen des Menschen von seiten Gottes des Wortes; daß zugleich Er Sohn Gottes und des Menschen sei und genannt werde Sohn des Menschen wegen des Menschen, den Er angenommen; Sohn Gottes wegen des Eingeborenen Gottes, der da angenommen.“ Weil also eben dieses „Annehmen“ unter die Vorherbestimmung fällt, so ist es richtig, daß der Sohn Gottes vorausbestimmt worden ist, daß Er Mensch sei; und ebenso ist richtig, daß der Sohn des Menschen vorherbestimmt worden, Gott zu sein. Insofern aber nicht dem Sohne Gottes Gnade widerfahren ist, daß Er Mensch wurde, sondern diese Gnade Gott der menschlichen Natur zugeteilt hat, daß sie mit Gott vereinigt werde, so ist es richtiger zu sagen: Christus als Mensch sei vorherbestimmt worden, Sohn Gottes zu sein.
