Zweiter Artikel. Es schickte sich, daß ein Engel das Geheimnis ankündigte.
a) Dem widerspricht: I. Den höchsten Engeln wird die Mitteilung unmittelbar von Gott, mach Dionysius (7. de coel. hier.). Maria aber ist höher als alle Engel. II. Sollte hier die gewöhnliche Ordnung gewahrt werden, wonach den Menschen Engel das Göttliche künden, so mußte auch ein Mann es Maria künden als einem Weibe, nach 1. Kor. 14.: „Wenn die Weiber etwas zu Hause lernen wollen, so sollen sie ihren Mann fragen.“ Also mußte ein Mann, wie z. B. Joseph, es Maria künden. III. Keiner kann genügend ankündigen, was er selber nicht kennt. Aber sogar die höchsten Engel erkennen nach Dionysius nicht voll und ganz das Geheimnis der Menschwerdung; wie aus der Frage der Engel bei Isai. 63, 1. hervorgeht: „Wer ist dieser, der da kommt von Edom?“ IV. Das Größere muß durch höhere Boten angekündigt werden. Also mußte hier, wo es sich um das Bedeutendste handelte, nicht ein bloßer Erzengel, d. h. einer vom vorletzten Chöre, kommen, wie die Kirche singt: „Wir wissen, daß der Erzengel Gabriel Dir von Gott die Botschaft gebracht hat.“ Es mußte vielmehr einer vom höchsten Chöre kommen. Also ist diese Ankündigung nicht zukömmlicherweise gemacht worden. Auf der anderen Seite steht die Autorität der Schrift (Luk. 1, 26.).
b) Ich antworte, aus drei Gründen sei es zukömmlich gewesen, daß ein Engel diese Botschaft brachte: 1. Damit auch hier die von Gott herrührende Ordnung gewahrt bleibe, wonach das Göttliche den Menschen durch Engel mitgeteilt wird, nach Dionysius (4. de coel. hier.): „Jesus hat zuerst die Engel belehrt über das Geheimnis der Güte; und vermittelst derer ist die Kenntnis bis zu uns gekommen;“ so hat Gabriel auch den Zacharias belehrt … ; — 2. damit dem Zwecke, der Erneuerung des Menschengeschlechtes, Genüge geschehe; deshalb sagt Beda (in festo annunt.): „Es war ein passender Anfang der menschlichen Wiedererneuerung, daß zur Jungfrau, die durch die göttliche Geburt geweiht werden sollte, von Gott ein Engel gesandt wurde; weil die erste Ursache des menschlichen Verderbens war die Schlange, welche vom Teufel gesandt wurde, um durch den Geist des Hochmuts die Frau zu täuschen;“ — 3. weil dies der Würde Mariens entsprach, so daß Hieronymus sagt (serm. assumpt.): „Gut wird ein Engel zur Jungfrau gesandt; denn immer ist mit den Engeln verwandt die Jungfrauschaft. Im Fleische nämlich leben, als ob man kein Fleisch hätte, ist mehr himmlisches wie irdisches Leben.“
c) I. Mit Rücksicht auf die Würde, zu der sie erwählt wurde, war Maria höher wie die Engel; mit Bezug aber auf den Stand des gegenwärtigen Lebens war sie niedriger. Christus bedürfte keines Unterrichtes von seiten der Engel, weil Er im Besitze der seligen Anschauung in seinemGeiste war. Maria aber war nur Erdenpilgerin; und so mußte sie über die Empfängnis des ewigen Wortes vom Engel unterrichtet werden. II. Wie Augustin sagt (de ass.), „war Maria auf Grund wahren Erachtens von manchen allgemeinen Erniedrigungen ausgenommen. So hat sie nicht mehrmals empfangen; sie war nicht unter der Gewalt des Mannes; sie, die in ihrem unversehrtesten Leibe vom heiligen Geiste Christum empfing.“ Sie durfte also nicht durch den Mann, sondern mußte durch einen Engel unterrichtet werden. Deshalb ist sie auch eher unterrichtet wie Joseph, der erst nach der Empfängnis vom Engel darüber belehrt ward. III. Die Engel kannten wohl das Geheimnis der Menschwerdung; aber sie wollten dasselbe in noch vollendeterer Weise kennen lernen, deshalb fragen sie Jesum. Danach sagt der Märtyrer Maximus: „Die Engel kannten die zukünftige Menschwerdung. Es war ihnen aber ein Geheimnis die unerforschliche Art und Weise, wie der Herr dem Fleische nach empfangen ward, wie Er ganz war im Erzeugen, ganz blieb in allen Dingen und doch enthalten in der Zelle der Jungfrau.“ IV. Gregor der Große (hom. 24.) sagt wohl: „Der höchste Engel mußte würdigerweise kommen, um den Höchsten von Allem anzukündigen.“ Aber damit ist nicht gesagt, daß er der höchste war unter allen Engeln, sondern der höchste unter den Erzengeln, wie ihn ja eben die Kirche immer als einen Erzengel bezeichnet hat; sind es doch nach demselben Gregor „die Erzengel, welche die höchsten Dinge ankündigen“. Gabriel heißt: „Kraft Gottes“. Denn, fährt Gregor fort, „durch die Kraft Gottes mußte Jener angekündigt werden, welcher, als der Herr aller Kräfte, gekommen ist, um mit Macht die Mächte der Luft im Kampfe zu überwinden.“
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