Zweiter Artikel. Der Leib Christi war im ersten Augenblicke seiner Empfängnis beseelt.
a) Dem steht Folgendes entgegen: I. Leo der Große sagt (ep. ad Julianum): „Nicht einer anderen Natur gehörte das Fleisch Christi an wie das unsrige; und keine anders geartete Seele ward Ihm im Anfange eingeprägt wie diejenige, die wir haben.“ Die anderen Menschen aber erhalten die Seele nicht im ersten Augenblicke der Empfängnis. II. Die Seele wie jede andere Form im Bereiche der Natur erfordert in dem zu ihr gehörigen Stoffe einen bestimmten Umfang. Einen solchen Umfang aber hatte der Leib Christi nicht im ersten Augenblicke; wie andere Körper ihn zu der Zeit haben, wenn sie beseelt werden. Sonst wäre er schneller geboren worden oder er hätte einen größeren Umfang haben müssen zur Stunde der Geburt wie der Körper anderer Kinder. Das Erste ist gegen Augustin (4. de Trin. 5.), der da beweist, dieser Leib sei einen Zeitraum von neun Monaten im Mutterleibe gewesen; — das Zweite ist gegen Leo den Großen, der (sermo in Epiph. 4.) sagt, „daß die Magier den Knaben Jesu gefunden hätten, in nichts verschieden von den anderen Kindern.“ III. Wo ein „vorher“ und „nachher“ sich findet, da giebt es mehrere Augenblicke. In der Zeugung des Menschen aber giebt es ein „vorher“ und „nachher“ (2. de Gen. 3 et 4.); nämlich zuerst ist da das Lebendige, dann das Sinnbegabte, dann der Mensch. Also war die Beseelung Christi nicht im ersten Augenblicke. Auf der anderen Seite sagt Damascenus (3. de orth. fide 2.): . „Zugleich war da das Fleisch und war es das Fleisch des ewigen Wortes; zugleich war es ein von einer vernünftigen Seele beseeltes Fleisch.“
b) Ich antworte, damit die Empfängnis Christo dem Herrn selber zugeschrieben werden könne, wie es im Symbolum heißt: „Der empfangen ist vom heiligen Geiste,“ müsse man sagen, der Leib Christi sei im Augenblicke der Empfängnis vom Worte Gottes angenommen worden. Nun hat das „Wort“ den Leib angenommen vermittelst der Seele, die Seele vermittelst der Vernunft (Kap. 6, Art. 1 u. 2.). Also war im ersten Augenblicke der Leib Christi beseelt mit der vernünftigen Seele.
c) I. Man kann den Anfang oder das Princip hier nehmen: 1. Gemäß der Verfassung des Körpers; und danach war es in Christo wie bei den anderen Menschen; sogleich nachdem der Körper in der gegebenen Verfassung war, wurde die Seele eingeprägt; — 2. gemäß der Zeit allein; und so war der Körper gleich im ersten Augenblicke in zweckentsprechender Verfassung und ward ihm im ersten Augenblicke die Seele eingeprägt; was sonst nicht der Fall ist. II. Der verlangte Umfang läßt eine gewisse Weite zu. Der Umfang nämlich des Körpers, wenn ihm die Seele eingeprägt wird, entspricht dem Umfange, zu dem er später im vollendeten Mannesalter gelangt, so daß größere umfangreichere Menschen im ersten Augenblicke der Beseelung einen größeren Umfang haben wie kleinere. Christus nun hatte im Mannesalter einen gebührenden, maßvollen Umfang, dem da entsprach der körperliche Umfang zu der Zeit, wo sonst die Menschen die Seele empfangen; und somit war der Umfang des Körpers Christi zur Zeit daß er thatsächlich beseelt wurde, also im ersten Augenblicke der Empfängnis, ein noch kleinerer. Jedoch war dieser kleine Umfang nicht dermaßen klein, daß er die vernünftige Seele nicht hätte in sich enthalten können; da ja in solch kleinem Umfange die Körper sehr kleiner Menschen beseelt werden können. III. Was Aristoteles da sagt, findet wohl Anwendung auf alle anderen bloßen Menschen; nicht aber auf Christum, dessen Körper auf Grund der unendlichen einwirkenden Kraft des heiligen Geistes im Augenblicke in der gewollten Verfassung war und danach die Seele im ersten Augenblicke empfing.
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