Erster Artikel. Der Leib Christi ward geformt im ersten Augenblicke der Empfängnis.
a) Dagegen wird Folgendes geltend gemacht: I. Zu Joh. 2, 20.: „In sechsundvierzig Jahren ist dieser Tempel gebaut worden,“ bemerkt Augustin (4. de Trin. 5.): „Diese Zahl kommt offenbar der Vollendung des Körpers Christi zu“ und im Buche der 83 Qq. 56.: „Nicht unnütz wird gesagt, jener Tempel sei erbaut worden binnen sechsundvierzig Jahren. Denn damit wird ausgedrückt, daß, in wie vielen Jahren dieser Tempel gebaut worden, in so vielen Tagen der Leib Christivollendet ward.“ Also nicht im ersten Augenblicke wurde der Leib Christi vollendet. II. Damit der Leib Christi geformt würde, war eine Ortsbewegung notwendig; denn das betreffende Blut vom Leibe Marias mußte an den geeigneten Ort kommen. Kein Körper kann sich aber von einem Orte zum anderen hinbewegen im Augenblicke; denn die Zeit teilt sich eben in verschiedene Teile gemäß dem aus Teilen bestehenden Beweglichen (6 Physic.). Also war der Leib Christi nicht im Augenblicke vollendet. III. Der Leib Christi wurde geformt aus dem reinsten Blute der Jungfrau. Nicht aber kann dieser Stoff in ein und demselben Augenblicke zugleich Blut und Fleisch sein. Also war es ein anderer Augenblick, wo derselbe zuletzt Blut war; und ein anderer, wo er zuerst Fleisch war. Nun liegt zwischen zwei Augenblicken immer eine gewisse Zeit. Also nicht im Augenblicke war der Leib Christi vollendet. IV. Wie das Vermögen, wodurch das betreffende Wesen wächst, zu seiner Bethätigung eine gewisse bestimmte Zeit verlangt, so auch das Zeugungsvermögen; denn beide sind pflanzliche Kräfte. Der Leib Christi aber hatte binnen einer bestimmten Zeit sein geeignetes natürliches Wachstum; denn es heißt Luk. 2. vom Knaben Jesu: „Er nahm zu wie an Alter so an Weisheit.“ Also war auch die Bildung des Körpers, welche zum Zeugungsvermögen gehört, nicht im Augenblicke. Auf der anderen Seite sagt Gregor der Große (8. moral. 27.): „Da der Engel die Botschaft verkündete und der heilige Geist über Maria kam, war alsbald das ewige Wort im Mutterschoße und alsbald ward Fleisch im Mutterschoße das Wort.“
b) Ich antworte; in der Empfängnis des Körpers sei dreierlei zu beachten: 1. Die örtliche Bewegung des Blutes zum geeigneten Orte; — 2. die Bildung des Körpers aus solchem Stoffe; — 3. das Wachstum, wodurch der entsprechende Umfang gewonnen wird. Das Erste kann nicht im Augenblicke sein; denn es schließt in sich die Bewegung eines aus Teilen bestehenden Körpers ein, deren Wesenscharakter entspricht die Aufeinanderfolge. Das Nämliche ist beim Dritten der Fall; denn einerseits ist das Wachstum nicht ohne örtliche Bewegung und andererseits wirkt hier bereits die im Körper befindliche Seele, deren Thätigsein innerhalb einer Zeit sich vollzieht. Im Zweitgenannten aber besteht der eigentliche Charakter der Empfängnis, der das Erste voraufgeht und das Dritte nachfolgt; und diese Bildung des Körpers selber war in der Empfängnis Christi eine augenblickliche. Dies geht aus zwei Gründen hervor: 1. Auf Grund der einwirkenden Kraft, die unendlich ist: des heiligen Geistes nämlich; denn je größer die einwirkende Kraft ist, desto schneller folgt der Stoff; und ist diese Kraft eine unendlich große, so ist der Stoff im Augenblicke in der gewollten Verfassung; — 2. auf Grund der Person des Sohnes, dessen Körper geformt ward. Denn es war nicht anders als geziemend, daß Er einen geformten Körper annahm. Wäre aber, ehe die Bildung desselben vollendet gewesen, eine gewisse Zeit voraufgegangen, so hätte nicht die ganze Empfängnis dem Sohne Gottes zugeschrieben werden können, welche Ihm ja nur auf Grund des Annehmens zugeschrieben werden kann. Also im ersten Augenblicke daß der Stoff geeinigt war am Orte des Zeugens, war voll und fertig geformt der Leib Christi und zugleich vom Worte angenommen. Und danach wird gesagt, der Sohn Gottes sei empfangen worden, was sonst nicht gesagt werden könnte.
c) I. Die Worte Augustins beziehen sich nicht allein auf die fertige Bildung und Formung des Körpers Christi, sondern auch auf die Formung zugleich mit dem Wachstume bis zur Zeit der Geburt. Also gemäß der Bedeutung jener Zahl vollendete sich die Zeit von neun Monaten, wo Christus im Mutterleibe war. II. Jene örtliche Bewegung geht vorher der eigentlichen Empfängnis. III. Der letzte Augenblick, wo jener Stoff Blut war, kann nicht bestimmt gekennzeichnet werden. Jedoch kann die letzte Zeit gekennzeichnet werden, welche ohne weitere Dazwischenkunft von etwas Anderem mit jenem Augenblicke abschloß, in dem das Fleisch Christi geformt war; und dieser Augenblick war der Abschluß für die örtliche Bewegung des Stoffes zum Orte der Zeugung hin. IV. Das Wachstum vollzieht sich durch das entsprechende Vermögen im Wachsenden selber. Die Erzeugung aber geschieht nicht durch das entsprechende Vermögen dessen, der gezeugt wird; sondern desjenigen, der vermittelst des Samens zeugt, in welchem wirkt die formende, vom Vater sich ableitende Kraft. Der Leib Christi aber ward nicht geformt von der in einem männlichen Samen waltenden Kraft, sondern durch das Einwirken des heiligen Geistes. Also mußte diese Formung so sein, wie sie dem heiligen Geiste geziemte. Das Wachstum des Leibes Christi jedoch vollendete sich kraft dem entsprechenden Vermögen der Seele Christi selber. Und da diese der Gattung nach gleichförmig ist unserer Seele, so mußte der Körper des Herrn so wachsen wie der unsrige, damit die Wahrheit der menschlichen Natur dargethan werde.
