Dritter Artikel. Im ersten Augenblicke der Empfängnis ward der Leib Christi vom ewigen Worte angenommen.
a) Dem steht Folgendes entgegen: I. Was noch nicht ist, kann nicht angenommen werden. Kraft der Empfängnis aber fing Christi Fleisch an. Sein zu haben. Also erst nach der Empfängnis konnte es angenommen werden. II. Das Fleisch Christi ward vom „Worte“ angenommen vermittelst der vernünftigen Seele. Die vernünftige Seele aber empfing dieser Leib beim Abschlußpunkte der Empfängnis. Also erst beim Abschlußpunkte der Empfängnis ward der Leib vom „Worte“ angenommen und somit nachdem bereits er empfangen war. III. In Allem, was erzeugt wird, ist der Zeit nach das Unvollkommene früher wie das Vollkommene (9 Metaph.). Der Leib Christi aber war etwas Erzeugtes. Also gelangte er nicht gleich im ersten Augenblicke seiner Empfängnis zur letzten Vollendung, welche besteht in der Einigung mit dem Worte Gottes. Auf der anderen Seite schreibt Augustin (de fide ad Petrum 18.): „Halte ohne irgend einen Zweifel daran fest und glaube es zuverlässig, daß das Fleisch nicht empfangen war im Mutterschoße der Jungfrau, ehe es vom „Worte“ angenommen wurde.“
b) Ich antworte; wir sagen im eigentlichen Sinne, Gott sei Mensch geworden; aber nicht ebenso eigentlich sagen wir, der Mensch sei Gott geworden. Denn Gott nahm an Sich das, was den Menschen ausmacht; aber nicht hatte das, was den Menschen ausmacht, vorher ein Fürsichbestehen, ehe es vom Worte Gottes angenommen wurde. Wäre aber das Fleisch Christi empfangen worden, ehe es angenommen würde vom „Worte“, so hätte es ein vom „Worte“ verschiedenes Fürsichbestehen vorher gehabt; was gegen die Wahrheit der Menschwerdung ist. Und ebenso wäre es unzulässig, wenn das ankommende Wort Gottes gleich im ersten Augenblicke das vorbestehende Fürsichsein der menschlichen Natur oder einen Teil derselben zerstört hätte. Also ist es gegen die Wahrheit des Glaubens, daß der Leib Christi zuerst empfangen und dann angenommen worden ist vom „Worte“.
c) I. Wenn das Fleisch Christi nicht im selben Augenblicke geformt oder vollendet worden wäre, in welchem es empfangen worden, so müßte eines von beiden folgen: daß entweder das Empfangene noch nicht Fleisch gewesen oder daß vorher die Empfängnis wäre und später das Annehmen. Weil aber die Vollendung des Formens im ersten Augenblicke da war, deshalb war in jenem Fleische es zugleich: empfangen werden und empfangen worden sein. Deshalb sagt Augustin mit Recht (l. c.): „Wir sagen, das Wort Gottes selber sei empfangen worden dadurch daß es Fleisch annahm und das Fleisch des ewigen Wortes selber sei empfangen worden.“ II. Zugleich wird dieses Fleisch empfangen, ist empfangen und wird beseelt. III. Das Geheimnis der Menschwerdung besteht nicht darin, daß etwas bereits Bestehendes aufsteigt bis zur Einigung mit dem „Worte“, wie Photinus meinte. Da besteht vielmehr ein Herabsteigen, insoweit das vollkommene Wort Gottes die Unvollkommenheit unserer Natur angenommen hat, nach Joh. 6.: „Er stieg herab vom Himmel.“
