Vierter Artikel. Der Engel hat seine Seligkeit verdient.
a) Das scheint nicht der Fall zu sein. Denn: I. Das Verdienst kommt von überwundenen Schwierigkeiten im Wirken. Der Engel hatte aber keine solchen. II. Kraft der Natur verdienen wir nicht. Dem Engel aber war es natürlich, sich zu Gott zu wenden. III. Wenn der selige Engel seine Seligkeit verdient hätte; dann entweder vor derselben oder nachher. Unmöglich scheint das erste; denn wie viele meinen, hatte er vorher keine Gnade, vermittelst deren allein die Herrlichkeit verdient werden kann. Das zweite scheint ebenso unzukömmlich; denn in diesem Falle würde er jetzt noch fortwährend seine Herrlichkeit verdienen, was falsch ist, da danach jetzt noch ein Engel geringeren Grades die Herrlichkeit eines höheren Grades verdienen könnte und somit die unterscheidenden Stufen derselben nicht dauerhaft wären. Also hat der Engel überhaupt nicht die Herrlichkeit verdient. Auf der anderen Seite sagt die Apokalypse 21, 17., das Maß des Engels sei im himmlischen Jerusalem wie das Maß des Menschen. Der Mensch aber kann nur auf Grund seiner Verdienste zur Herrlichkeit gelangen; also ähnlich auch der Engel.
b) Ich antworte, nur Gott komme seiner Natur nach die vollkommene Seligkeit zu; denn in Ihm ist Sein ganz dasselbe was Seligsein. Für jede Kreatur ist das Seligsein nicht von ihrer Natur gefordert, sondern es ist der letzte Endzweck. Zum letzten Endzwecke aber gelangt jegliche Kreatur nur durch ihre Thätigkeit. Eine solche Thätigkeit führt nun entweder in der Art zum Endzwecke, daß sie diesen Endzweck herstellt, wie das künstlerische Wirken als seinen Endzweck das Kunstwerk herstellt; oder so, daß diese Thätigkeit den Endzweck verdient, wenn nämlich der Endzweck die Kraft des Thätigseienden übersteigt, und somit der Endzweck erwartet wird als Geschenk eines anderen. Dies findet in unserem Falle sowohl für den Engel wie für den Menschen statt. Wenn nun der Engel in der Gnade geschaffen worden, ohne welche ja kein Verdienst gedacht werden kann, so hat es keine Schwierigkeit zu sagen, er habe die Herrlichkeit verdient; und ähnlich wenn der Engel üher-haupt vorher Gnade gehabt hat. Hat er aber keine Gnade vor seiner Seligkeit gehabt, so muß man sagen, er habe die Herrlichkeit unverdienterweise erhalten; wie etwa wir die Gnade. Dies ist aber gegen die Natur der Seligkeit, die als letzter Endzweck dasteht und den Charakter des Lohnes für die Tugend hat (1 Ethic. 9.) Oder man muß sagen, die Engel hätten die Seligkeit durch das verdient, was sie als bereits selig in ihren verschiedenen Diensten wirken; wie andere meinen. Aber das ist gegen die Natur des Verdienens. Denn das „Verdienst“ trägt den Charakter eines Weges zum Endziele; jenem aber, welcher bereits am Endziele ist, kommt es nicht zu, sich dahin zu bewegen, da keiner verdienen kann, was er schon hat. Oder es müßte gesagt werden, ein und derselbe Akt, durch den der Engel sich zu Gott wendet, sei verdienstlich, soweit er vom freien Willen ausgeht; und er sei zugleich das selige Genießen, soweit er den Endzweck erreicht. Aber auch das erscheint nicht als hinreichend. Denn der freie Wille ist nicht die genügende Ursache des Verdienstes und somit kann ein solcher Akt nicht verdienstvoll sein, außer insoweit er von der Gnade vollendet worden. Er kann aber nicht zugleich vollendet werden von einer unvollkommenen Gnade als dem Princip des Verdienstes und von einer vollkommeneren als dem Princip der Seligkeit. Somit scheint es nicht zuträglich, daß der Engel zugleich verdiene und zugleich genieße, was er verdient. Also sagt man besser, vor seiner Herrlichkeit habe der Engel die heiligmachende Gnade gehabt und durch sie habe er die Herrlichkeit verdient.
c) I. Die Schwierigkeit kommt beim Engel nicht von einem in ihm bestehenden Hindernisse für das verdienstliche gute Handeln, sondern weil dies die Kraft seiner Natur übersteigt. II. Dadurch daß sich der Engel kraft seiner Natur zu Gott wendete, verdiente er nicht seine Seligkeit; sondern dadurch daß er dies kraft der Liebe that, welche von der Gnade kommt.
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